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„Alles andere als ein Klassiker“

Das Online-Portal lesbengeschichte.org feiert im November sein zehnjähriges Bestehen. Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Christiane Leidinger, einer der beiden Gründerinnen. (in: Jungle World Nr. 46, 12. November 2015)
Small Talk von Kirsten Achtelik

Was macht das Webportal so außergewöhnlich?

Es gibt im deutschsprachigen Raum kein vergleichbares Projekt, gerade auch in der Mischung aus Lesbengeschichte und Lesbenfilmgeschichte. Unsere Filmliste umfasst mehr als 440 deutschsprachige Spielfilme, in denen eine Anziehung zwischen Frauen zumindest angedeutet wird. Die Geschichte aus einer lesbischen Perspektive zu betrachten, ist alles andere als ein Klassiker. Es geht darum, Lesben kritisch in die Geschichte einzuschreiben, Lebensgeschichten sichtbar zu machen.

Was ändert sich an der Geschichte, wenn man die lesbische Lebensweise einbezieht?

Es gibt eine große Bereitschaft unter Historikerinnen und Historikern, Frauen, die in einem Haushalt zusammenleben, als Cousinen oder Haushälterinnen zu bezeichnen, statt zu fragen, ob sie vielleicht eine innigere Beziehung hatten. Es heißt oft, man wolle der Person nicht unterstellen, dass sie lesbisch war, als ob das etwas Ehrenrühriges sei. Als müsste man in die Schlafzimmer und unter die Decke geguckt haben, um eine Frau als Lesbe bezeichnen zu können. Ich drehe das gerne um, weil ich den Frauen nicht einfach unterstellen will, dass sie heterosexuell waren.

Sie sammeln auf der Website auch Zitate berühmter und weniger berühmter Lesben. Haben Sie ein Lieblingszitat?

Auf jeden Fall Johanna Elberskirchen von 1904: »Sind wir Frauen der Emanzipation homosexual – nun dann lasse man uns doch!« Das ist ungewöhnlich, weil es für diese Zeit eine unglaubliche Selbstverständlichkeit lesbischer Lebensweise ausdrückt und mit Sicherheit auch hochgradig provokativ war.

Inwiefern spielen Trans-Personen eine Rolle auf der Website?

Gerade bei der Filmgeschichte ist es zentral, das nicht zu trennen, zum Beispiel bei den »Hosenrollen«. Wir wollten weg von dieser Einteilung LSBTI, gerade weil wir bislang wenig über die komplexen Verbindungen zwischen geschlechtlicher und sexueller Identifikation wissen. Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand sagt, ich möchte sein wie ein Mann, was um 1900 auch wirtschaftliche Unabhängigkeit und Bildungszugang bedeutet hat, oder ob die Person sich als Mann fühlt.