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PID-Zentren wollen mehr

Die PID-Zentren in Hamburg und Lübeck haben detaillierte Zahlen zum ersten Jahr der Durchführung in Deutschland veröffentlicht. Wird damit die Geheimhaltungspflicht umgangen? (in GID 232, Oktober 2015 S. 37 – 38, dort auch Anmerkungen und Belege)

Präimplantationsdiagnostik (PID) ist in Deutschland seit Dezember 2011 in Ausnahmefällen erlaubt. Das Gen-ethische Netzwerk hat jeden Schritt im Legalisierungsprozess kritisch beobachtet und kommentiert. Jetzt liegen die ersten Daten der seit Juni 2014 arbeitenden Ethik-Kommission Nord vor – auch dem GID.

Eigentlich ist ihre Arbeit nicht öffentlich, die Kommissionsmitglieder sind zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Begründet wurde das mit dem Schutz der betroffenen Frauen und Paare. Weil aufgrund des selektiven Charakters der PID eine gesellschaftliche Diskussion ihrer Praxis möglich sein muss, hatte das GeN aber bereits Ende November 2013 gegen die Geheimhaltung protestiert. Zumindest in Mecklenburg-Vorpommern löste diese Kritik Bewegung aus: Auf Nachfrage eines Mitglieds der CDU-Landtagsfraktion erklärte das Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales im Januar 2014, seinerseits bestünden „keine Bedenken gegen eine Veröffentlichung der jährlichen Kommissionsberichte“.

Kommissions-Bericht Nord
Der erste Jahresbericht nun enthält Zahlen über den Zeitraum Juni bis Dezember 2014. Demnach gab es lediglich 14 Anträge, von denen 13 zustimmend bewertet und einer von der Antragstellerin zurückgezogen wurde. Zur Indikationsstellung macht der Bericht nur allgemeine Angaben entlang der in der Durchführungsverordnung zum Präimplantationsgesetz festgelegten Kriterien: Neun Genehmigungen einer PID wegen Chromosomenstörungen, zwei wegen autosomal-rezessiver, null wegen autosomal-dominanter Anlageträgerschaft und zwei wegen X-chromosomal vererbbarer Krankheiten beziehungsweise Behinderungen. Acht Antragstellerinnen – und damit die Mehrheit – kamen aus anderen als den an der Nordkommission beteiligten Bundesländern. Dies verwundert nicht, da im fraglichen Zeitraum die Nordkommission als einzige bereits arbeitete.

Dass mit diesen spärlichen Informationen weder die tatsächliche Schwere einer erwarteten Krankheit oder Behinderung eingeschätzt noch eine Transparenz über die Genehmigungspraxis hergestellt werden kann, hat bereits 2012 der Deutsche Ethikrat kritisiert. Da die gesetzlichen Formulierungen mit „schwerwiegend“ und „hohe Wahrscheinlichkeit“ relativ vage sind, werden mit der Genehmigungspraxis der Ethikkommissionen ohnehin Präzedenzfälle geschaffen. Dies macht die mangelnde Transparenz zusätzlich problematisch.

Erfahrungen aus den Zentren
In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Der Frauenarzt sind die bisherigen PID-Fälle ganz anders aufgearbeitet worden. Eine Gruppe von zwölf Medizinern aus den für PID zertifizierten Zentren in Lübeck und Hamburg beleuchten detailliert den Stand der Genehmigungsverfahren zur PID aus ihrer Sicht. Demnach gab es bis zum 30. Juni dieses Jahres 142 Anfragen an die beiden zertifizierten Zentren und 34 Zustimmungen der Ethik-Kommission. Es ist also nicht bei den geringen Fallzahlen geblieben, die der Jahresbericht 2014 aufführt, die Befürchtung einer allmählichen Ausweitung der PID scheint sich vielmehr zu bestätigen.

In dem Artikel finden sich außerdem auch alle Daten, die in dem Bericht der Ethik-Kommission nicht enthalten sind, einschließlich detaillierter Indikationen, entstandener Schwangerschaften und geborener Kinder – angesichts der absoluten Geheimhaltungspflicht der Ethik-Kommission etwas irritierend. Der Direktor am Universitären Kinderwunschzentrum Lübeck und Co-Autor des Artikels, Georg Griesinger, kann aber auf Nachfrage „in der Verwendung der Daten für diesen Artikel kein datenschutzrechtliches Problem erkennen“. Nicola Timpe, die Pressesprecherin der Ärztekammer Hamburg zeigte sich hingegenverwundert und kündigte dem GID gegenüber eine juristische Prüfung des Vorgehens der Mediziner an.

Liberalisierung durch Transparenz
Die Gefahr, dass durch die Veröffentlichung der detaillierten Informationen eine Liste der genehmigungsfähigen Krankheiten und Behinderungen entsteht, sieht Griesinger nicht Eine solche Liste der Erkrankungen und Behinderungen, bei denen PID erlaubt ist, hatte der Gesetzgeber nicht in den PID-Paragrafen aufgenommen, um einen selektiven Automatismus zu verhindern. Die Entstehung einer als diskriminierend und behindertenfeindlich angesehenen „Liste“ soll durch Einzelfallentscheidungen der Ethikkommissionen vermieden werden.

Für Griesinger dagegen macht es „de facto keinen Sinn, für ein- und dieselbe Fragestellung jedes Mal wieder eine Einzelfallentscheidung zu treffen“. Er zeigt sich überzeugt, dass „nur durch eine systematische Erfassung“ der Daten „Transparenz über die Genehmigungspraxis hergestellt werden“ könne.

Informationen über die Genehmigungspraxis sind zwar wünschenswert, um die Entwicklung einschätzen zu können. Während es dem GeN hier aber darum geht, einer möglicherweise laxen Genehmigungspraxis entgegentreten zu können, weisen die Forderungen der zwölf Mediziner aus den PID-Zentren Hamburg und Lübeck in eine andere Richtung: Sie wollen die PID-Praxis weiter liberalisieren, etwa durch eine quasi-automatisierte Genehmigungspraxis. Im Sinne der Betroffenen sei eine „Einschätzung zur Erfolgsaussicht des Antrags“ bereits im Vorfeld wünschenswert. Dafür sprächen auch die Kosten des Verfahrens.

PID ist keine Leistung der Krankenkassen, da sie nicht der Heilung oder Linderung von Krankheiten dient – das hat das Bundessozialgericht im November letzten Jahres entschieden. Auch die künstliche Befruchtung muss von den Paaren selbst bezahlt werden, wenn sie nicht wegen nachgewiesener Unfruchtbarkeit durchgeführt wird. Ebenso müssen sie die Kosten für das Ethikvotum tragen. Laut Gebührenordnung der Ärztekammer Hamburg sind das zwischen 1.000 und 1.500 Euro.9 Bei der Ethikkommission Süd, die sich gerade erst konstituiert hat, wird ein solches Votum voraussichtlich zwischen 1.500 und 4.000 Euro kosten.

Marktöffnung via Kassenfinanzierung?
Es kann davon ausgegangen werden, dass die hohen Kosten, die Mühsal der künstlichen Befruchtung und die Pflicht zur Genehmigung durch die Ethik-Kommission Paare davon abhalten, eine PID durchführen zu lassen. Folgerichtig stellen die Reproduktionsmediziner aus den PID-Zentren die Frage, ob die Nichtbeteiligung der Kassen an den Kosten „medizinisch-ethisch als legitim eingeschätzt werden kann“.

Und wie schon in der Debatte um die Einführung der PID bemühen sie den Vergleich mit pränataler Diagnostik (PND). Aus dieser Perspektive geht es in beiden Fällen um eine nicht gewünschte Behinderung des zukünftigen Kindes. Da nach pränataler Feststellung einer fötalen Abweichung die Schwangerschaft legal abgebrochen werden kann und die Kosten dafür von den Krankenkassen übernommen werden, sei es sozial ungerecht, wenn Frauen, die versuchen, eine solche Schwangerschaft zu vermeiden, die Kosten selbst tragen müssten. Diese Argumentation unterschlägt, dass der Abbruch einer die Frau belastenden Schwangerschaft juristisch etwas völlig anderes ist als das Zustandebringen einer wunschgemäßen Schwangerschaft. Mit der 1995er Reform des Paragraphen 218 wurde die embryopathische Indikation und damit die Erlaubnis selektiver Abtreibungen abgeschafft. Seitdem sind Abbrüche nach der zwölften Schwangerschaftswoche nur dann legal, wenn die seelische oder physische Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist. Bei der PID geht es aber explizit um die Auswahl eines „gesunden“ Embryos. Es wird interessant, zu beobachten, wie Mediziner versuchen werden, die Vorab-Selektion von Embryonen zu einem gesundheitlichen Problem von Frauen umzudefinieren.