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Kassenzulassung bedeutet Normalisierung!

Sollen die gesetzlichen Kassen nichtinvasive Bluttests auf Trisomien bezahlen? Dies könnte auch zu zusätzlicher Angst führen, meint Kirsten Achtelik vom Gen-ethischen Netzwerk e.V. im Kommentar. Sie fordert eine Debatte, wann welche pränatalen Untersuchungen sinnvoll sind. Mein Kommentar in Der Hausarzt, 20.01.19

In der beinah allseitigen Befürwortung der Kassenzulassung des nichtinvasiven Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 werden wichtige Argumente zu wenig beachtet. Die Tests gelten zu Unrecht als sehr sicher [1], was eher den Werbeaussagen der Anbieter als den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien oder des IQWiG entspricht [2].

Gerade für jüngere Schwangere dürften die falsch positiven Ergebnisse zusätzliche Angst und Verunsicherung statt der versprochenen „Sicherheit“ bedeuten.

Die Vorgehensweise des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die Bluttests lediglich als weitere Option im Status quo der bisherigen pränatalen Untersuchungen zu etablieren, erzwingt einen ständigen Vergleich mit dem bisherigen pränatalen Angebot. Hier können sie unbestritten Pluspunkte verbuchen, wenn auch die aktuellen Zahlen zum Risiko von Spontanaborten nach invasiven Eingriffen deutlich niedriger sind als weithin angenommen wird [3].

Die Fixierung auf den Methodenvergleich macht es unmöglich, danach zu fragen, welches Wissen über den Fötus überhaupt als medizinisch notwendig gelten kann – dies ist aber eine notwendige Voraussetzung für eine Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Genau diese Frage, ob und für wen welche Tests einen medizinisch-therapeutischen Vorteil bedeuten könnten, wurde aber seit der Einführung der mittlerweile etablierten Verfahren ab den 1970er Jahren noch gar nicht gestellt.

Jetzt könnte endlich die Gelegenheit genutzt werden, für den ganzen Komplex der pränatalen Untersuchungen zu diskutieren, welches Wissen (in welchem Monat) einen gesundheitlichen Vorteil für die werdende Mutter und das werdende Kind bedeutet.

Verstärkte Angst vor Behinderung

Ein ebenfalls unterbelichtetes Thema, das die Tests für Schwangere und für Menschen mit Behinderung zum Problem macht, ist die damit vermittelte, normalisierte und weiter verstärkte Angst vor Behinderung. Die Vorstellung, eine Behinderung sei eine schlimme Anomalität, die zwangsläufig mit Leiden und Schmerzen für alle Beteiligten verbunden sei, ist zwar weit verbreitet, deswegen aber nicht weniger problematisch, behindertenfeindlich und ableistisch.

Es wird so die Annahme nahegelegt, dass die gesuchte Behinderung belastend und vermeidenswert genug ist, um das Gesundheitssystem auf den Plan zu rufen. Das Angebot eines Tests und gar seine Kassenfinanzierung suggeriert eine große Belastung durch die jeweilige Behinderung. Dass die Betroffenen und ihre Familien dies häufig anders sehen und Behinderung keineswegs als große Bürde empfunden werden muss, kommt in Beratungsgesprächen immer noch zu wenig zur Geltung.

Die Normalisierung und Finanzierung medizinisch unnötiger pränataler Tests erschwert Schwangeren das kritische Hinterfragen des Angebots und ihrer eigenen Ängste. Die Hindernisse einer vollständigen Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung abzubauen, könnte die Ängste von Schwangeren vor einem Leben mit einem behinderten Kind sinnvoller reduzieren als der nächste Test.