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Unergründliches Unbehagen

Medizinische Hilfen für trans Jugendliche werden von verschiedenen Seiten dämonisiert. Dabei gibt es gute Argumente für die Behandlungen. In taz 15. 7. 2020

Einen Druck, sich anzupassen, verspüren wohl alle Kinder und Jugendliche. Um beliebt zu sein meist, oder um zumindest nicht gemobbt zu werden. Das gilt nicht nur für Schule und Freundeskreis, sondern auch für die eigenen Eltern – und es gilt für queere Kinder ganz besonders. Aus teils berechtigter Sorge um das eigene Kind und dessen Zukunft entscheiden sich Eltern oft für Maßnahmen, die eine größere „Normalität“ herstellen sollen.

Jugendlichen, die sich trauen, sich ihren Eltern gegenüber als homosexuell zu outen, wird daher immer noch häufig unterstellt, dies sei nur eine Phase, ein „normales“ gegengeschlechtliches Begehren werde sich mit der Zeit schon einstellen. Und dies kommt von Eltern, die so liberal sind, dass sich ihre Kinder überhaupt trauen, mit ihnen zu sprechen.

Aber auch normierende medizinische Eingriffe sind weiterhin üblich, beispielsweise bei „geschlechtlich vereindeutigenden“ Operationen an intersex Kindern, oft wenn sie noch sehr klein sind. Ein Eingriff, der nur deswegen als legitim wahrgenommen wird, weil der geschlechtlich nicht binäre Körper als „nicht intakt“ gelesen wird. Medizinische Behandlungen hingegen, die älteren Kindern helfen könnten, mit der Last der Zweigeschlechtlichkeit besser umzugehen, gelten vielen noch als verdächtig.

Wenn sich die Pubertät nähert, haben trans Kinder die Möglichkeit, mit einer begleitenden Ärz­t:in über die Einnahme von sogenannten Pubertätsblockern zu sprechen. Diese sollen die Stigmatisierung im unerwünschten biologischen Geschlecht verhindern und der jungen jugendlichen Person mehr Zeit verschaffen.

Prominente Kritik

Diese Behandlung von jungen trans Personen wurde kürzlich durch die „Harry Potter“-Autorin Joanne K. Rowling harsch auf Twitter kritisiert. Die britische Schriftstellerin hatte sich schon vor einiger Zeit zur Vertreterin von Frauen- und Transrechten erklärt, war aber von trans Aktivist:innen und Feminist:innen immer auch scharf kritisiert worden. Anfang Juli schrieb sie dann, Kinder – vor allem Mädchen, die nicht den herkömmlichen Geschlechternormen entsprächen – würden zu Hormoneinnahme und Operationen verleitet.

Rowling warnte vor den angeblich irreversiblen Pubertätsblockern und bezeichnete die Behandlung von trans Kindern und Jugendlichen als Konversionstherapie, verglich sie also mit einer in Deutschland mittlerweile verbotenen Behandlung, die homosexuelle Menschen „heilen“ soll.

Rowling ist mit derartigen Warnungen nicht allein, sondern höchstens die gegenwärtig prominenteste Vertreterin einer differenzfeministischen Strömung, die die Existenz von trans Identität routiniert anzweifelt. Ein Sprachrohr dieser Strömung ist in Deutschland beispielsweise die Zeitschrift Emma, die die Selbstbestimmung von trans Jugendlichen immer wieder infrage stellt. In dieser Denkrichtung wird gern eine Manipulation unterstellt, der Personen, die sich für geschlechtsangleichende Maßnahmen entscheiden, angeblich zum Opfer fallen.

Zugleich wird mit einem Begriff von „Gesundheit“ gearbeitet, der den vermeintlich intakten Körper überhöht – und darauf beharrt, seine Intaktheit nur durch die Brille des binären Geschlechterverständnisses zu begreifen. Auch wenn es in Einzelfällen Pro­bleme geben mag, sind solche Generalisierungen falsch und schädlich.

Die pubertätsarretierende Therapie mittels GnRH-­Analoga wird seit den 1990er Jahren an Jugendlichen mit Transidentität angewandt. Diese Hormone drosseln die körpereigene Produktion von Testosteron beziehungsweise Östrogen. Eine Gabe von Hormonen des selbstidentifizierten Geschlechts hingegen erfolgt erst später, in Deutschland üblicherweise ab 16 Jahren, geschlechtsangleichende Operationen dann erst in Richtung Volljährigkeit.

Sollten die Pubertätsblocker wieder abgesetzt werden, etwa weil sich die Person doch anders entschieden hat, dann verursachen die körpereigenen Hormone das Einsetzen der (allerdings späteren) Pubertät. Die Jugendlichen werden in diesem Prozess idealerweise von einem Team aus Psychotherapeut:innen und verschiedenen Fachärzt:innen begleitet.

Ein Überblicksartikel im Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel vom März bezeichnet die Wirkung der Pubertätsblocker als „reversibel“, als Nebenwirkungen nennt der Artikel Stimmungsschwankungen, Wachstumsverlangsamung und eine Verzögerung der Knochenreifung. Wenn die geschlechtsangleichende Therapie beginnt, könne diese Verzögerung jedoch oft aufgeholt werden. Da es wenige trans Kinder gibt und viele erst spät auf verständnisvolle Ärz­t:in­nen treffen, gibt es nicht über alle Behandlungsvarianten in allen Altersstufen vollständig befriedigendes Datenmaterial. Die psychischen Vorteile scheinen jedoch die physischen Nachteile zu überwiegen.

Schwierige Gesellschaft

Eine 2014 publizierte Outcome-Studie an 55 holländischen Patient:innen, die vor Beginn der Pubertätsarretierung, vor Beginn der gegengeschlechtlichen Therapie und ein Jahr nach der geschlechtsangleichenden Operation befragt und untersucht wurden, zeigt, dass sich das subjektive Wohlbefinden und die Lebensqualität im Therapieverlauf signifikant verbessert hatten und im Vergleich mit gleichaltrigen cis Jugendlichen gleich oder besser waren.

Kinder und Jugendliche, deren geschlechtliche Identität von ihren Bezugspersonen ernst genommen wird, und die in ihrem Entscheidungsprozess begleitet und unterstützt werden, haben weniger psychische und soziale Probleme. Wenn sie hingegen gezwungen werden, eine Pubertät zu durchlaufen, die ihrer Selbstwahrnehmung widerspricht, wenn also als weiblich selbstidentifizierte Jugendliche in den Stimmbruch kommen oder männlichen Jugendlichen Brüste wachsen, verstärkt das die Ablehnung des eigenen Körpers und die damit einhergehende Verzweiflung. Zudem verändern sich die Körper in einer nicht angehaltenen Pubertät tatsächlich irreversibel.

Rowling warnt davor, es trans Kids zu leicht zu machen, in vorgeblicher Sorge um diese. Wenn diese Sorgen aber als unbegründet oder mindestens stark übertrieben gelten können, was ist dann die Motivation dafür, diese so vehement vorzubringen? Betreibt Rowling in Wirklichkeit eine Hass­kampagne, wie einige trans Personen vermuten? Rowling selbst scheint fest daran zu glauben, dass sie Frauen und Mädchen vor Eingriffen in ihren Körper und ihr Hormonsystem schützen muss.

Sie scheint das auf die gleiche Weise zu glauben, wie die Katholikin und Initiatorin der „Demos für alle“, Hedwig Freifrau von Beverfoerde, vor der „Frühsexualisierung“ von Kindern warnt oder die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff auf die Gefahren durch künstliche Befruchtung hinweisen will, wenn sie Menschen, die so gezeugt wurden, vor einigen Jahren als „Halbwesen“ bezeichnet hat. Hinter der vermeintlichen Sorge steckt die Abwehr des Uneindeutigen, Ambiguen, Perversen, nicht Zuordenbaren. Und dahinter lauern die Ängste.

Ängste und deren Abwehr sind jedoch schlechte Ratgeber. Kinder und Jugendliche brauchen nicht mehr Warnungen vor ihrem eigenen Empfinden, sondern eine größere sichtbare Vielfalt der geschlechtlichen Identitäten und des sexuellen Begehrens. Statt sich zu schämen und „falsch“ zu fühlen, könnten sie so für sich Vorbilder finden und ihre eigenen Bedürfnisse besser benennen. Möglicherweise werden Kinder, die sich nicht mit ihrem zugewiesenen Geschlecht identifizieren auch nicht mit „dem anderen“ Geschlecht identifizieren, wenn es normal für sie ist, dass es eben nicht nur zwei gibt.

Vielleicht werden Jugendliche auch für sich die Bezeichnung „nicht binär“ oder „agender“ statt trans bevorzugen. Das ist aber eben kein Argument dafür, Kinder in die Pubertät mit einem Körper zu zwingen, mit dessen wahrgenommenen Geschlecht sie sich jedenfalls nicht identifizieren.