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Ist Pränataldiagnostik ableistisch?

Medizinische Tests erkennen Behinderungen schon in der Schwangerschaft. Viele Feminist*innen sehen das als Teil der reproduktiven Selbstbestimmung, für die sie kämpfen. Doch wo hört diese auf und wo fängt Ableismus an? im Schwerpunkt „Ableismus bekämpfen“ im Missy Magazine 02/2024, 11.03.2024

Hat der Pro-Choice-Feminismus ein Ableismusproblem? Stellen wir uns vor, eine junge weibliche Person mit einer sichtbaren Behinderung will gegen den „Marsch für das Leben“ in Berlin demonstrieren. Seit in den USA der Oberste Gerichtshof im Juni 2022 das Urteil „Roe vs. Wade“ und damit das Recht auf Abtreibung gekippt hat, ist in manchen Bundesstaaten Abtreibung ganz unmöglich geworden. Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland wollen selbsternannte „Lebensschützer*innen“ Gesetze verschärfen und ungewollt Schwangere unter Druck setzen. Dieser Angriff auf reproduktive Rechte hat viele Leute mobilisiert. In Berlin ruft der Bundesverband Lebensrecht jedes Jahr im September zu einer Demonstration auf, Feminist*innen stellen sich dem entgegen. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung beschallt dabei meist die Auftaktkundgebung der Fundi-Christ*innen am Brandenburger Tor mit feministischen Liedern und aufklärerischen Reden. Hier könnte die junge

Feministin mit Behinderung einer Rede zuhören, in der kritisiert wird, dass Menschen mit Behinderung oft Probleme haben, eine gynäkologische Praxis zu finden und ihnen häufig nicht zugetraut wird, selbst Kinder zu bekommen – reproduktive Rechte schließen auch das Recht ein, sich für Kinder entscheiden zu können. Wozu es auf der Kundgebung keinen Redebeitrag geben würde, sind vorgeburtliche Untersuchungen, bei denen nach einer Behinderung des Fötus gesucht wird (Pränatale Diagnostik, PND). Auch späte Abtreibungen nach einer solchen Diagnose thematisiert das Bündnis nicht. 

Es könnte passieren, dass die junge Feministin als sichtbar behinderte Person von einem älteren Mann angesprochen wird, der sie segnen will, und sie fragt, ob sie denn nicht leben wolle. Denn „Lebensschützer*innen“ versuchen immer wieder, Gegenkundgebungen zu infiltrieren. Menschen mit kleinen Kindern oder mit Behinderungen sind beliebte Zielgruppen für ihre gezielten Ansprachen. Abtreibungsgegner*innen sind überzeugt, dass…

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9. November: Was heißt »nie wieder«?

Eine kritische Nachbetrachtung der Gedenkveranstaltungen zum 9. November im nd vom 11.11.23

85 Jahre nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 ist offenes jüdisches Leben in Deutschland wieder massiv in Gefahr. In den vergangenen Wochen wurden Synagogen und jüdische Friedhöfe angegriffen, Häuser mit Davidsternen markiert und Poster mit den Namen und Gesichtern der nach Gaza verschleppten Geiseln abgerissen und beschmiert. Jüd*innen vermeiden es, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen und Orte jüdischen Lebens aufzusuchen.

Das Versprechen »Nie wieder!«, das alljährlich am 9. November erneuert wird, galt nie absolut. Das offizielle Gedenken war eher eine Pflichtveranstaltung für den guten Ruf im Ausland als eine tatsächliche Auseinandersetzung mit antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Tendenzen.

Diesmal hat der Jahrestag der Reichsprogramnacht eine besondere Bedeutung. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel, bei dem 1400 Menschen ermordet wurden, war erst gut einen Monat her. 240 Geiseln hat die Hamas seitdem in ihrer Gewalt, darunter auch Kleinkinder. Israel wird weiterhin täglich mit Raketen beschossen, wegen der andauernden Gefahr mussten bislang über 250 000 Israelis ihr Zuhause verlassen.

Raketen auf Israel? In der Berichterstattung spielt das kaum eine Rolle, das Interesse hat sich auf den Krieg im Gazastreifen und die dortigen Opfer verlagert. Viel zu häufig wird Israel dabei als Aggressor dargestellt. Die Zäsur, die das Pogrom des 7. Oktober bedeutet, scheint bereits in den Hintergrund zu gleiten. An keinem anderen Tag seit der Shoah wurden so viele jüdische Menschen ermordet. Das Land, das Jüd*innen Zuflucht vor Pogromen und Angriffen verspricht, fühlt sich nicht mehr sicher an. Israels Recht auf Selbstverteidigung wird angezweifelt und relativiert.

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Free whom from what now?

Die Probleme der linken Palästina-Solidarität, Kommentar im nd vom 21.10.2023

»Free Palestine from German guilt«, riefen mehrere Dutzende Protestierende, die am Mittwochabend eine Blockade vor dem Auswärtigen Amt in Berlin bildeten. Auf dem von der »Berliner Zeitung« verbreiteten Video ist zu erkennen, dass es größtenteils links und westlich aussehende junge Menschen sind, die diese Parole rufen. Vom »deutschen Schuldgefühl« wollen sie Palästina befreien, offensichtlich in der Annahme, dass die deutsche Gesellschaft und der deutsche Staat ohne dieses spezifisch deutsche Schuldgefühl den »Befreiungskampf« der Palästinenser*innen unterstützen würden.

Gegen den »deutschen Schuldkult« wettern sonst extreme Rechte, Nazis und die AfD, denen die kritische Erinnerung an den Nationalsozialismus naturgemäß widerstrebt. Sie möchten das Gedenken an die Shoah beenden, damit Deutschland wieder eine stolze, eine vermeintlich normale Nation sein kann. Je weniger die Handlungen und Ideologien der Nationalsozialisten problematisiert werden, desto weniger problematisch erscheint aufgewärmte und modernisierte Nazi-Propaganda. Das ist zwar ekelhaft, hat aber seine eigene Logik.

Warum aber schlagen Linke in die gleiche Kerbe? Tatsächlich ist dieser Slogan nicht neu, er ist seit Jahren auf Kreuzberger Demonstrationen zum 1. Mai und auf alternativen Pride-Paraden zu hören. Häufig kommt der Vorwurf eines falschen und fehlgeleiteten Schuldgefühls der Deutschen von Linken, die in spanisch- oder englischsprachigen Ländern sozialisiert worden sind. Aber auch dogmatische maoistische, leninistische und andere »rote Gruppen«, genauso wie antikoloniale Queers, nutzen diese Kritik an der deutschen Erinnerungskultur. Das Beharren auf der eigenen, deutschen Verantwortung für die Shoah und dem Versuch, dem Schwur »Nie wieder!« gerecht zu werden, gilt ihnen nicht als verantwortungsvoller Umgang mit der NS-Vergangenheit, sondern als Hindernis im politischen Kampf.

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Corona: Lieber alle impfen

Zwar ist der neue Corona-Impfstoff da, doch unklare Informationen halten Ärzte zurück, im nd vom 26.09.2023

Seit Montag sind in Deutschland neue angepasste Impfstoffe gegen die aktuellen Coronavarianten verfügbar. Der erste Herbst ohne Schutzmaßnahmen lässt auch das Ansteigen weiterer Atemwegserkrankungen befürchten.

Die nächste Corona-Welle rollt pünktlich zum kalendarischen Herbstbeginn: Auch Finanzminister Christian Lindner und Verteidigungsminister Boris Pistorius haben sich mit Corona infiziert und mussten in dieser Woche Termine absagen. Seit einigen Wochen registrieren die Labore wieder mehr Covid-Infektionen. Mit einer sehr verminderten Test-Infrastruktur und wenig Aufklärung über die aktuellen Symptome sind die Zahlen jedoch nicht mit denen des vergangenen oder vorvergangenen Jahres zu vergleichen.

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Deutsche Einheit: Kein Grund zum Feiern!

Der 33. Tag der deutschen Einheit ist vorbei, immerhin! Kommentar im nd vom 06.10.2023

Jetzt sollte man es natürlich erst recht sagen: »Deutschland, du mieses Stück Scheiße!« Die linksradikale Demonstration gegen die Einheitsfeierlichkeiten in Hamburg durfte diesen Spruch auf einem Transparent nicht verwenden, weil der Anfangsverdacht einer Verunglimpfung des Staates bestand.

33 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und der sogenannten Wiedervereinigung redeten die Offiziellen in Hamburg von Gemeinsinn und Zusammenhalt. Stephan Harbarth (CDU), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, mahnte, zwar sei Deutschland nicht gespalten, aber auseinandergerückt.

Der offizielle »Event-Kanal« zum Tag der Deutschen Einheit auf X (vormals Twitter) verkündete: »Gemeinsam wollen wir HORIZONTE ÖFFNEN! Für eine Zukunft, die Grenzen überwindet!« Und Carsten Schneider, der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland möchte »Zerrbilder aus den Köpfen bekommen«. Es sei wichtig, Neugier und Interesse zwischen Ost und West zu wecken. Sollen »wir« nun alle wieder zusammenrücken und uns vertragen, um Einheit, Demokratie und – den wichtigsten Wert von allen – »Wohlstand« nicht zu gefährden?mehr … Deutsche Einheit: Kein Grund zum Feiern!

»Marsch für das Leben«: Geht ein Bischof auf ne Demo

Wie enstand das Foto des Bischofs neben dem mutmaßlichen Rechtsextremen? Text im nd vom 23.09.2023

Das umstrittene Original-Foto. Rechts der junge Mann im blauen Sacko zeigt das „white power“-Symbol, daneben mit Strohhut Bischof Voderholzer

Für das Leben zu sein klingt positiv und unproblematisch. Jedes Jahr im September läuft der »Marsch für das Leben« durch Berlin, die Demonstration richtet sich gegen Abtreibungsrechte, emanzipatorische Vorstellungen von Geschlecht und Selbstbestimmung. Der Großteil der Teilnehmenden sind christliche Fundamentalist*innen und Reaktionäre, dabei sind auch führende AfDler*innen und Holocaustverharmloser*innen. Die Organisator*innen tun das regelmäßig als Einzelfälle ab.

Das fiel ihnen in diesem Jahr jedoch deutlich schwerer. Nur wenige Stunden nach der Demonstration am vergangenen Samstag machte ein Foto vor allem auf X (vormals Twitter) die Runde, das einen jungen Mann zeigt, der die White Power-Geste Richtung Kamera macht. Dabei werden Daumen und Zeigefinger zusammengeführt, die restlichen Finger sind abgespreizt. Dieses Handzeichen ist ein Erkennungssymbol der globalen extremen Rechten. Fast direkt neben ihm lief der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. mehr … »Marsch für das Leben«: Geht ein Bischof auf ne Demo

Selbstbestimmungsgesetz: Grundrechte kommen näher

Das Bundeskabinett hat den Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. Betroffene sehen darin viel Misstrauen, nd vom 26.08.2023

Fragen wir mal andersherum: Warum muss überhaupt das bei der Geburt vermutete Geschlecht irgendwo eingetragen werden? Die Juristin Anna Katharina Mangold weist darauf hin, dass die zwangsweise Zuordnung zu einem Geschlecht bei der Geburt einen Eingriff in die Grundrechte jedes Menschen darstellt. Das Geschlecht eines Menschen kann man nicht an den Genitalien erkennen, weder bei Erwachsenen, noch bei Babys.

Solche Grundrechtseingriffe müssen gut begründet sein. Wenn der Staat aus Gründen der Tradition, der Statistik oder der Bevölkerungspolitik darauf besteht, eine solche Geschlechterzuordnung vornehmen zu lassen, dann sollte er es zumindest einfach machen, diese Zuordnung wieder zu ändern. Bei vielen Menschen trifft eine erste Zuordnung zwar halbwegs zu, wenn das aber nicht der Fall ist, ist es für die Betroffenen unzumutbar, eine Änderung unnötig zu erschweren. Seit 1981 ermöglicht das Transsexuellengesetz (TSG) einen Wechsel von »männlich« zu »weiblich« oder umgekehrt, nötig sind dafür zwei psychologische Gutachten von Sachverständigen und ein Gerichtsurteil. Früher war dafür eine Sterilisierung nötig und eine Scheidung vom bisherigen Ehepartner. Solche Regeln hat das Bundesverfassungsgericht eine nach der anderen für nicht mit den Grundrechten vereinbar erklärt. Neben »männlich« und »weiblich« gibt es seit 2013 die Möglichkeit, den Eintrag frei zu lassen und seit 2018 den Eintrag »divers«.

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Selbstbestimmungsgesetz: Absurde Abwehr

Ein wirkliches Selbstbestimmungsgesetz muss jetzt schnell kommen, Kommentar im nd vom 23.08.2023

Fast kommt es einem vor, als würden manche Leute nachts wach liegen und darüber nachdenken, was denn das allerunwahrscheinlichste Szenario sein könnte, wenn trans und nicht binäre Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen künftig einfach beim Standesamt ändern lassen könnten. Wenn diese Leute morgens in ihren Ministerien den Kolleg*innen ihre nächtlich erbauten Gruselschlösser präsentieren, nicken alle bedächtig und sagen: »Dagegen müssen wir dringend noch einen Paragrafen in das neue Gesetz einfügen!« Zuletzt hatte das Innenministerium Bedenken angemeldet, dass Straftäter*innen die neuen Regeln missbrauchen könnten, um ihre Identität zu verschleiern. Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollen nun über den geänderten Eintrag im Personenstandsregister informiert werden.

Die Koalition hat am Mittwoch endlich den Weg für das neue Selbstbestimmungsgesetz frei gemacht, damit künftig eine einfache Selbstauskunft beim Standesamt reicht und keine langwierigen, teuren und entwürdigenden psychiatrischen Gutachten und Gerichtsurteile mehr benötigt werden. Das wird trans und nicht binären Menschen viel Zeit und Nerven ersparen. Wenn das Gesetz bald in Kraft treten könnte, wäre das für alle Betroffenen ein großer Gewinn.

Gleichbehandlungsgesetz: Gleichheit statt Gerechtigkeit?

Antidiskriminierungspolitik geht nicht weit genug, Kommentar im nd vom 17.08.2023

Am Freitag hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Geburtstag. Kein Grund zum Feiern allerdings, denn die 17 Jahre, die es auf dem Buckel hat, merkt man dem Gesetz durchaus an. Es schützt nicht ausreichend vor Diskriminierung, bietet Betroffenen kaum Handlungsmöglichkeiten und arbeitet mit, freundlich formuliert, veralteten Begriffen.

Die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, drängt auf eine schnelle Reform. Auch ein Bündnis aus hundert zivilgesellschaftlichen Organisationen erinnert die selbsternannte Fortschrittskoalition an ihre Versprechen und fordert eine umfassende Novellierung. So sollen die Diskriminierungsmerkmale erweitert werden um Staatsangehörigkeit oder »familiäre Fürsorgeverantwortung«.

Das ist richtig und wichtig. Aber wovor kann ein Antidiskriminierungsgesetz in einer auf Wettbewerb und Wertschöpfung ausgerichteten Gesellschaft überhaupt schützen? Wenn man eine Wohnung nicht bekommt, weil man nicht weiß ist; dann könnte man die Vermieterin verklagen. Mit einem guten Anwalt, Zeugen und einer gehörigen Portion Glück bekommt man dann eine Entschädigung – eine Wohnung hat man davon allerdings immer noch nicht. Nach der Gesetzesreform soll das auch funktionieren, wenn man eine Wohnung nicht bekommen hat, weil man alleinerziehend ist.

Was aber, wenn man die Wohnung nicht bekommt, weil man als Verkäuferin oder Krankenpfleger zu wenig verdient und keine Eltern hat, die bürgen können? Dann hilft einer*m kein Gleichbehandlungsgesetz der Welt – im Wettbewerb die Ellenbogen auszufahren und sich gut aufzustellen, dafür ist schließlich jede*r selbst verantwortlich. Mehr Gleichheit wäre gut, Gerechtigkeit wäre noch besser.

Suizid: Betroffenen helfen statt Absichten fördern

Therapieplätze anstelle von Suizidmedizin: Verbesserung der Prävention ist dem Bundestag wichtiger als Erleichterung der Sterbehilfe, im nd vom 07.07.23

Die Suizidprävention soll in Deutschland gestärkt werden. Diesem Antrag stimmte am Donnerstag mit 693 Abgeordneten eine übergroße Mehrheit zu. Auf diesen Gemeinschaftsantrag hatten sich die Parlamentarier*innen erst am Vortag geeinigt. Die beiden Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen über eine Neuregelung der Suizidhilfe haben die Abgeordneten dagegen mehrheitlich zurückgewiesen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 war eine gesetzliche Neuregelung erforderlich geworden. Das Gericht hatte das gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe von 2015 aufgehoben, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch genommen werden dürfe. Die am Donnerstag diskutierten Gesetzesentwürfe sollten Rechtssicherheit für Ärzt*innen und Angehörige herstellen.mehr … Suizid: Betroffenen helfen statt Absichten fördern