Der Gemeinsame Bundesausschuss wird wohl beschließen, dass die Kosten für Bluttests auf Trisomien bei bestimmten Schwangeren übernommen werden. Eine Analyse. Frankfurter Rundschau, 18.09.19
Am Donnerstag (19.9.) wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) über die Kassenzulassung des Bluttests auf die Trisomien
13, 18 und 21 entscheiden. Nach einem Vorbericht des Magazins „Der
Spiegel“ ist die Entscheidung des obersten Selbstverwaltungs-Gremiums im
deutschen Gesundheitswesen bereits gefallen: Die Kosten für die Tests
sollen für Schwangere bei besonderen Risiken oder zur Abklärung von
Auffälligkeiten übernommen werden.
Die
nichtinvasiven molekulargenetischen Tests (NIPT) werden seit 2012 auf
dem deutschen Markt angeboten. Sie filtern die DNA des Fötus – oder
genauer, der Plazenta – aus dem Blut der Schwangeren und können darin
einige genetische Abweichungen finden, die Beeinträchtigungen
verursachen. Sie stellen keine Diagnostik dar, sondern sind
Hochrechnungen. Sie ersetzen also nicht die invasiven und mit einem
Fehlgeburtsrisiko verbundenen Verfahren wie Fruchtwasseruntersuchungen,
diese sollen zur Bestätigung bei einem positiven Ergebnis weiterhin
durchgeführt werden.
Bluttest auf Trisomie – Schritt zu sozialer Gerechtigkeit
Befürworter
der Kassenzulassung begrüßen die Entscheidung als Schritt zu mehr
Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit, da sonst ärmere Schwangere
auf die invasiven Methoden zurückgreifen müssen. Selbst die Evangelische
Kirche sprach sich für die Zulassung aus. Derweilen wächst die Kritik
auf verschiedenen Ebenen. Grundsätzlich wird die Kompetenz und
Zuständigkeit des G-BA für diese Entscheidung in Frage gestellt. Die
Aufgabe des Gremiums ist es, den Nutzen, die medizinische Notwendigkeit
und Wirtschaftlichkeit von Medikamenten und medizinischen Verfahren zu
bewerten, ethische und gesellschaftliche Gesichtspunkte spielen keine Rolle.
Der
Vorsitzende Josef Hecken, hat selbst wiederholt betont, dass dieses
Vorgehen in Bezug auf den NIPT schwierig sei und auf den Bundestag und
den Ethikrat als für weitergehende Fragen zuständige Instanzen
verwiesen. Der Bundestag hat mit einer zweistündigen
Orientierungsdebatte im April einen Prozess begonnen, ob und wann dieser
zu einer Änderung der den G-BA betreffenden Regelungen führen wird, ist
jedoch offen.
Bluttest auf Trisomie – Kritiker fürchten Selektion
Die
Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenkassen erfolgt auf Grundlage
von Sozialgesetzbuch V, in dem festgelegt ist, dass die vergüteten
Leistungen dazu dienen sollen „die Gesundheit der Versicherten zu
erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“.
Akteure wie das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik
bezweifeln, dass die Bluttests diesen Kriterien gerecht werden, da eine
Beeinträchtigung des Fötus die Gesundheit der werdenden Mutter nicht
gefährdet.
Diese Sichtweise stellt
allerdings nicht nur die Kassenfinanzierung der Bluttests, sondern auch
große Teile der bisherigen Finanzierungspraxis pränataler Tests in
Frage – auch die meisten Fruchtwasser- und Ultraschalluntersuchungen
suchen nach Auffälligkeiten beim Fötus, die für die werdende Mutter
nicht gesundheitsrelevant sind.
Die Angst der Schwangeren vor einer möglichen Behinderung des Kindes
In
der Schwangerschaft gelten nicht nur Auffälligkeiten als Indikation für
weitere kassenfinanzierte Untersuchungen, sondern auch die Angst der
Schwangeren vor einer möglichen Behinderung. Die Idee, dass diese Sorgen
durch Tests und Untersuchungen abgebaut werden können und sollen, hat
seit den 1980er Jahren zu einer enormen Normalisierung und Ausweitung
pränataler Diagnostik geführt. Ob diese Ängste seitdem nicht eher zu-
als abgenommen haben, ist eine empirisch offene Frage.
Die Angst vor einer Behinderung des werdenden Kindes
und die Sorge darum, was dies auch für das eigene Leben bedeuten
könnte, ist zudem kein medizinisches, sondern ein gesellschaftliches
Problem. In der Debatte des Bundestages haben viele Abgeordnete darauf
hingewiesen, dass Schwangere zu Recht Angst vor einem Kind mit
Behinderung hätten: Die deutsche Gesellschaft sei immer noch wenig
inklusiv und die Verantwortung für ein solches Kind daher mit einem
stark erhöhten bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden.
Familien mit Kindern, die Trisomie 21 haben, sind in Sorge
Familien
mit Kindern, die das Down-Syndrom haben, kennen diese Erfahrung aus
erster Hand. Viele von ihnen lehnen die Kassenzulassung ab, weil sie
befürchten, dass durch eine weitere Normalisierung pränataler Diagnostik
die Angst vor Behinderung verstärkt werden könnte. Dieser Sorge
verliehen sie auf einer vom Elternverein Downsyndromberlin am
vergangenen Sonntag organisierten Kundgebung Ausdruck.
Für
die Vorstandsvorsitzende Heike Meyer-Rotsch besteht das
gesellschaftliche Drama nicht in der Behinderung, sondern in einem
falschen Bild von Leid und schwerem Schicksal, das die meisten Menschen
und werdende Eltern mit Behinderung verbänden. Durch die Kassenzulassung
der Tests werde gerade Trisomie 21 als „nicht wünschenswert“
dargestellt und die Angst vor dieser Behinderung als sinnvoll und normal
bewertet. Natalie Dedreux, die mit Trisomie 21 lebt und eine Petition
auf Change.org gegen die Kassenzulassung gestartet hat, sagte auf der
Kundgebung, dass sie nicht in einer Welt leben wolle, in der man sich
wegen der genetischen Besonderheit Down-Syndrom Sorgen machen müsse.
Bluttests auf Trisomie: Gesetzgeber muss Impulse aufnehmen
Wenn
der G-BA die Tests trotz dieser Bedenken zur Kassenleistungen macht,
ist es am Gesetzgeber, die Impulse aus der Orientierungsdebatte
aufzunehmen. Dazu gehört eine Überprüfung der Entscheidungskompetenzen
des G-BA, aber auch die Schaffung von gesellschaftlichen Bedingungen, in
denen Menschen mit Behinderung gut leben können und Schwangere nicht
wissen, warum sie davor Angst haben sollten.
Kirsten Achtelik ist Sozialwissenschaftlerin und freie Journalistin