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Redebeitrag Kundgebung Münster

Bei den Protesten gegen den „1000 Kreuze Marsch“ in Münster (übrigens mit AfD-Beteiligung) am 18. März 2017 hab ich eine kleine Rede darüber gehalten, warum es wichtig ist, sich gegen „Lebenschützer“ und pränatale Diagnostik einzusetzen:

Liebe Leute,

herzliche und kämpferische Grüße aus Berlin!

Die Diskussionen um Abtreibung, aber auch um Pränataldiagnostik und Behinderung haben im vergangenen Jahr zugenommen. Die Initiative polnischer „Lebensschützer“, das dortige ohnehin restriktive Abtreibungsgesetz massiv zu verschärfen, schaffte es zwar ins Parlament – riesige Proteste brachten die Regierungspartei PiS jedoch dazu, ihre Unterstützung zurückzuziehen. In Deutschland gab es mehrere Versuche, unter Berufung auf das Recht auf ärztliche Gewissensfreiheit Kliniken und ganze Regierungsbezirke „abtreibungsfrei“ zu machen (Schaumburg, Dannenberg). Dies konnten Aktivist*innen durch Öffentlichkeitsarbeit und Protest glücklicherweise verhindern.

In den öffentlichen und medialen Debatten um Pränataldiagnostik und die neuen Bluttests auf Trisomien ist zu viel von „ungeborenem Leben“ und zu wenig von Behindertenfeindlichkeit die Rede.

Die Kämpfe der Behindertenbewegung für ein gutes Teilhabegesetz waren energisch und teilweise erfolgreich. Hier waren Feminist*innen und Linke leider zu wenig solidarisch.

Die heutige Demo setzt diesen Tendenzen das Motto: „Für ein selbstbestimmtes Leben in einer herrschaftsfreien Gesellschaft“ entgegen.

„Selbstbestimmung“ ist kein eindeutig emanzipatorischer, positiver Begriff, sondern ein ambivalenter Begriff. Er ist in Richtung Selbstoptimierung, Neoliberalismus und Individualismus offen. Was Menschen, was Frauen, was schwangere Personen wollen, muss nicht gut, emanzipatorisch und befreiend sein. Wenn wir eine radikale Veränderung gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Machtverhältnisse erreichen wollen, sollten wir diese Probleme miteinander diskutieren und zu einer reflektierten Antwort kommen, die gesellschaftliche Behindertenfeindlichkeit/Ableism angreift und die „Lebensschützer“!

Feministinnen mit und ohne Behinderung fordern ein Recht auf Entscheidungen über den eigenen Körper für jede Person ein. Niemand soll mit Strafgesetzen, Zwangsberatung, „Gehsteigberatung“ oder sonstigen Maßnahmen dazu gebracht werden, schwanger zu sein, wenn sie es nicht will. Es muss ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch geben. Aber es gibt kein Recht auf ein „gesundes“ Kind.

An pränataler Diagnostik kritisieren wir den zugrunde liegenden selektiven Blick, der als „das muss doch heute nicht mehr sein“ mit Behinderung lebende Kinder und Erwachsene trifft. Viele pränatale Untersuchungsangebote suchen nicht nach medizinisch behandelbaren Problemen, sondern nach Abweichungen von der Norm. Dies vermittelt ein problematisches Bild von Behinderung, als wäre eine Behinderung automatisch mit Leiden, Schmerzen und Belastungen verbunden.

Die Normalisierung dieser selektiven pränatalen Untersuchungen macht es schwierig, sich diesen „Angeboten“ zu entziehen. Schwangere fühlen sich verpflichtet, möglichst alle Untersuchungen machen zu lassen, um das vermeintlich Beste für ihr werdendes Kind zu tun. Ängste vor Behinderung werden durch diese „Angebote“ eher geschürt als abgebaut.

Manche Feminist*innen verstehen diese Untersuchungen als Ausweitung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Frauen*. Mit den Ergebnissen pränataler Untersuchungen könnten sie besser entscheiden, was gut für sie ist. Sie werfen feministischen Kritiker*nnen pränataler Untersuchungen vor, eine Brücke zu den „Lebensschützern“ zu bauen, von denen man sich doch maximal abgrenzen müsse.

In einer von vielfältigen Herrschaftsverhältnissen durchzogenen Welt ist aber der bloße Ruf nach Selbstbestimmung ein stumpfes Schwert. Maximal abgrenzen von rechten und reaktionären Tendenzen können wir uns nur, indem wir alle Herrschaftsverhältnisse angreifen, die Menschen aussondern, verächtlich machen und unterdrücken!

Redebeitrag Demo Annaberg-Buchholz

Rede gehalten am 06. Juni 2016 bei der Demonstration gegen den Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz/Erzgebirge

Martin Lohmann, der Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht hat eben auf der Abschlußkundgebung der selbsternannten Lebensschützer gesagt, dass wir, also die Gegendemonstrant_innen ein „komatisiertes Gewissen“ hätten und gar nicht wüßten, warum wir eigentlich hier sind. Das wissen wir aber nur zu gut, weil wir nämlich nicht zulassen wollen, dass Leute wie Herr Lohmann über die Körper von Frauen bestimmen!
Wir wissen allerdings auch, dass wir noch viel diskutieren müssen um unsere eigenen Positionen zu schärfen. Eine der Fragen, die wir uns dabei stellen müssen ist: Wie kann eine feministische Position aussehen, die das Recht auf Abtreibung verteidigt, sich aber gegen pränatale Diagnostik (PND) und selektive Abbrüche ausspricht?
Für die selbst ernannten Lebensschützer, gegen die wir heute protestieren, ist „jedes Leben wertvoll“, wertvoll für Gott, meinen sie damit. Schützenswertes menschliches Leben beginnt für sie bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Sie gehen daher von einer direkten Diskriminierung behinderter Föten durch PND und PID aus: Embryonen und Föten mit festgestellten Beeinträchtigungen würden durch die Nichteinpflanzung bzw. Abtreibung schlechter behandelt als solche ohne auffällige Diagnosen.
Feministinnen mit und ohne Behinderung fordern dagegen ein Recht auf Entscheidungen über den eigenen Körper für jede Person ein. Niemand soll mit Strafgesetzen, Zwangsberatung, „Gehsteigberatung“ oder sonstigen Maßnahmen dazu gebracht werden darf, schwanger zu sein, wenn sie es nicht will.

An pränataler Diagnostik kritisieren wir den zugrunde liegenden selektiven Blick, der als „das muss doch heute nicht mehr sein“ mit Behinderung lebende Kinder und Erwachsene trifft. Jedes Untersuchungsangebot, das pränatal nicht nach medizinisch behandelbaren Problemen, sondern nach Abweichungen von der Norm sucht, transportiert ein Bild von Behinderung, als mit Leiden, Schmerzen und Belastungen verbundenen Zustand.
Die Normalisierung dieser Untersuchungen macht es schwierig, sich diesen „Angeboten“ zu entziehen. Schwangere fühlen sich verpflichtet, möglichst viel abchecken zu lassen, um „das Beste“ für ihr werdendes Kind zu tun. Ängste vor Behinderung werden dadurch eher geschürt als abgebaut.
Manche Feminist*innen verstehen diese Untersuchungen dagegen als Ausweitung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Frauen. Mit den Ergebnissen pränataler Untersuchungen könnten sie besser entscheiden, was gut für sie ist. Sie werfen feministischen Kritiker*Innen pränataler Untersuchungen vor eine Flanke zu den Lebensschützern aufzumachen, von denen man sich doch maximal abgrenzen müsse.
„Selbstbestimmung“ ist jedoch kein eindeutig emanzipatorischer, positiver Begriff, sondern ein ambivalenter, der in Richtung optimierter Selbstverwertung und neoliberalem, konsumistischem Individualismus offen ist. Was Menschen, auch Frauen wollen, muss nicht gut, emanzipatorisch und befreiend sein. Wenn wir eine radikale Veränderung gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Machtverhältnisse erreichen wollen, sollten wir diese Probleme miteinander diskutieren und zu einer reflektierten Antwort kommen, die gesellschaftliche Behindertenfeindlichkeit/Ableism angreift und die „Lebensschützer“!

Spermium trifft Eizelle

Eine Berliner Publikumsmesse für ungewollt Kinderlose rief starken Widerspruch hervor (neues deutschland 22.02.2017, Bewegung)

Ein Kinderwunsch erfüllt sich häufig nicht von selbst. Messebesucher, darunter Singels ebenso wie hetero- und homosexuelle Paare, konnten sich am Wochenende informieren, wie sie ihrem Traum vom eigenen Baby näher kommen können. An rund 40 Ständen fanden sie Nahrungsergänzungsstoffe, Fruchtbarkeitsyoga und Beratung zu künstlicher Befruchtung.

Das Konzept der Besuchermesse war umstritten: Der Verein Spenderkinder hatte bereits Anfang des Jahres seine ethischen und rechtlichen Bedenken gegen das Event geäußert. Er wandte sich gegen die dort von ausländischen Kliniken angebotenen anonymen Samen- und Eizellspenden. Diese Praxis widerspreche dem Recht von Kindern auf Kenntnis ihrer eigenen Abstammung. Der Berufsverband der Frauenärzte bezweifelte, dass es sich um eine Informations- und nicht vielmehr um eine Werbeveranstaltung handelte. Der Berliner Landesverband der Gynäkologen warnte gar vor unseriöser Geldmacherei. Schließlich prüfte die Berliner Gesundheitsverwaltung die Möglichkeit, das Event zu verbieten. Einige Verbände wie der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ) hatten ihre Teilnahme abgesagt, damit sich das Event keinen seriösen Anstrich geben könne. Um genau diesen war die Veranstalterfirma F2F-Events aus Großbritannien gerade sehr bemüht.

Veranstaltungsleiter David MacAllister von F2F betonte im Gespräch unermüdlich, es gehe nicht ums Geschäft, sondern um die bestmögliche Information der »Patienten«, der Paare mit Kinderwunsch. Diese seien bislang auf die oft unzureichenden Auskünfte ihres lokalen Arztes oder die unsachgemäßen Hinweise im Internet angewiesen. Der unmittelbare Kontakt zu verschiedenen Anbietern sei für die Paare deswegen so wertvoll. Die auf der Messe präsentierten Informationen würden es den Paaren ermöglichen, die für ihre Situation beste Entscheidung zu treffen. Die deutsche Medienberichterstattung über sein Event empfindet MacAllister als voreingenommen. Denn man habe sich sehr bemüht, die deutschen Gesetze und Gepflogenheiten zu beachten. So müssten sich Aussteller an bestimmte Verhaltensregeln halten, dies würde auch kontrolliert.

Doch der Rundgang über die Ausstellung zeigt ein anderes Bild: Auf dem Tresen der ukrainischen Klinik liegt eine Preisliste, die auch Leistungen von in Deutschland verbotenen Behandlungsmethoden enthält. Außerdem gibt es Gutscheine für kostenlose Erstuntersuchungen und Beratungen. Einige Stände weiter verweist die Mitarbeiterin eines tschechischen Instituts direkt auf ihre Webseite, dort könne man alle Informationen finden, über die sie auf der Messe nicht sprechen dürfe. Sie erklärt den Besuchern und Besucherinnen, wie eine Eizellenübertragung ohne allzu großen Umstände für die Empfängerinnen vonstatten gehen könnte. Für die Beratung und zur Erstbehandlung könnten die Paare eine Berliner Partnerpraxis besuchen. Nur zur eigentlichen Eizellenübertragung müsse man dann nach Prag reisen. Allerdings bewegt sich ein solches Vorgehen im juristischen Graubereich.

Zu den Verhaltensregeln für die Kinderwunschtage gehört auch, dass die Anbieter keine unbegründeten Hoffnungen wecken und unrealistischen Erfolgszahlen präsentieren dürfen. Die Kooperationspartner der Messeveranstalter scheint das jedoch wenig zu beeindrucken: Der US-amerikanische Anbieter Oregon Reproductive Medicine verspricht »gesunde Kinder«, die Mitarbeiterin von IVF Spain behauptet eine »Baby-take-home-Rate« von 95 Prozent. Diese Rate beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Behandlung tatsächlich zu einem Kind führt. Der Verband für Familienplanung Pro Familie sieht die durchschnittliche Rate für Deutschland bei nur 17,5 Prozent.

Draußen vor der Tür protestieren Feministinnen gegen die Messe. Mit einem Hasenkostüm und bunten Eiern machen sie darauf aufmerksam, dass eine Eizellentnahme immer gesundheitliche Risiken birgt und die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Eizellabgebenden und Leihgebärenden hinter den Bedürfnissen der Paare mit Kinderwunsch verschwinden. »Woher kommen die Eier?«, fragen sie und »in welcher Gesellschaft wollen wir leben?«

David MacAllister will im nächsten Jahr wiederkommen – auch über ähnliche Events in anderen deutschen Städten werde nachgedacht. Der Deutsche Ethikrat lädt im März zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu »reproduktiven Reisen« und deren Konsequenzen in Deutschland. So wird die Debatte wohl fortgesetzt werden.

Rezension von Doris Moser: Der überwachte Bauch

(In GID 240, Februar 2017, S. 40)

In Österreich gibt es analog zum deutschen Mutterpass den Mutter-Kind-Pass, dessen Untersuchungen allerdings – anders als in Deutschland – teilweise verpflichtend sind: Die werdende Mutter verzichtet auf einen Teil des Kindergeldes, wenn sie nicht an allen erforderlichen Untersuchungen teilnimmt. Der Verlust kann bis zu 2.600 Euro betragen. Dies ist eine nicht zu rechtfertigende bevölkerungspolitische Maßnahme und eine Bevormundung Schwangerer, die in der österreichischen feministischen Bewegung bisher viel zu wenig skandalisiert wird. Lobenswerterweise entlarvt Moser auch das unhaltbare Versprechen, dass mit den Untersuchungen ein problemloser Ablauf der Schwangerschaft und eine gesunde Entwicklung des späteren Kindes sicherzustellen sei. Leider fehlt der Autorin jedoch eine kritische Perspektive auf die Versprechungen der Selbstbestimmung, die sie mit ihren Gegenvorschlägen zur „Selbstmacht“ der Schwangeren überhöht. In ihrer berechtigten Kritik an der Schulmedizin übersieht sie, dass auch alternative Angebote den Druck auf die Schwangere, alles richtig zu machen, massiv erhöhen können, vor allem, wenn diese die Idee von einem unverfälschten, ursprünglichen Zugang der Schwangeren zu ihren Bedürfnissen und denen ihres werdenden Kindes beinhalten, den diese nur zulassen müsse.

Doris Moser: Der überwachte Bauch. Wie viel ärztliche Schwangerenvorsorge brauche ich wirklich? edition riedenburg (2016), 252 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-903085-07-7

Operationen an Intersex-Kindern

Eine neue Studie stellt fest, dass die Zahl der chirurgischen Eingriffe nicht wesentlich zurückgegangen ist. (In GID 240, Dezember 2016, S. 31)

Seit 2005 sind die ärztlichen Leitlinien in Deutschland überarbeitet worden, um die Zahl der kosmetischen Genitaloperationen an als intersexuell diagnostizierten Kindern zu reduzieren. Vor der Überarbeitung rieten diese bei „Störungen der sexuellen Differenzierung“ zu einer operativen „Korrektur“ eines „uneindeutigen“ Genitales. Die Anpassung an das als normal geltende Aussehen der Geschlechtsteile sollte idealerweise innerhalb der ersten sechs Lebensmonate erfolgen, was die „normale“ Entwicklung als Mädchen oder Junge erleichtern sollte. Viele Ärzt_innen und Eltern sind weiterhin überzeugt, dass eine „geschlechtsangleichende“ Operation das Kind vor gesellschaftlicher Diskriminierung bewahren wird, also dem „Kindeswohl“ dient. Daher unterwerfen sie die Kinder invasiven und irreversiblen Eingriffen, die schwere Folgen für deren geistiges und körperliches Wohlergehen haben können. Diese Argumentation zeigt, wie gefährlich die Annahme sein kann, es gäbe nur zwei Geschlechter und diese seien eindeutig voneinander zu unterscheiden. Kleinen Kindern schwere, medizinisch unnötige Operationen zuzumuten, verletzt ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit und nimmt die diskriminierende Handlung vorweg, die dem Kind damit erspart werden soll. In diese Denkweise passt auch das Angebot des niedrigschwelligen nichtinvasiven Bluttests auf Geschlechterchromosomenabweichung. Der deutsche Anbieter Lifecodexx bietet das Testpaket „Option 3“ für die Trisomien 13, 18 und 21, die Geschlechtsbestimmung und den Test auf eine „Fehlverteilung der Geschlechtschromosome“ für 399 Euro ab der neunten Schwangerschaftswoche an.1

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Vorsicht „Lebensschützer“

Gegen die drohende Einführung des Bluttest engagieren sich nicht nur fortschrittlich gesinnte Menschen – auch Konservative und Erzreaktionär_innen mobilisieren dagegen. Diese können keine Verbündeten sein. (In GID-Schwerpunkt 240, Februar 2017, S. 18 – 19)

Am 17. September 2016 trafen sich etwa 5.000 Lebensschützer_innen zum „Marsch für das Leben“ in Berlin. Es war die 12. Demonstration dieser Art in der deutschen Hauptstadt: Ein Schweigemarsch flankiert von einer Auftaktveranstaltung und einem Abschlussgottesdienst.1 Mit knapp 40 Bussen waren radikale Christ_innen aus ganz Deutschland und verschiedenen europäischen Ländern angereist, um „für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ zu demonstrieren. Der Marsch wird vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) organisiert, der radikale Organisationen einbindet, aber versucht, gemäßigt aufzutreten.2 Die Bildsprache der Märsche wird kontrolliert und sorgfältig orchestriert: Die mitgeführten 1.000 weißen Kreuze sollen dem Gedenken an das „getötete ungeborene Leben“ dienen, Schilder mit politischen Parolen werden zentral ausgegeben, selbst mitgebrachte Schilder und Transparente müssen genehmigt werden. Unter „Lebensschützern“ eigentlich beliebte Bilder von blutigen Föten sind daher selten.

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Abteibungsgegner hoffen vergebens

In den USA bekommen radikale »Lebensschützer« Unterstützung aus der republikanischen Partei. Auch in Deutschland versuchen einzelne reaktionäre Politiker, Einfluss auf die Debatte über Schwangerschafts­abbrüche zu nehmen. (In Jungle World 7, 16.02.17)

Die radikalen Abtreibungsgegner in den USA waren entzückt, als Vizepräsident Mike Pence beim 44. »March for Life« am 27. Januar in Washington zu ihnen sprach. In seiner frenetisch gefeierten Rede nannte er Donald Trump einen »Pro-life«-Präsidenten und versprach, »das Leben« werde nun in den USA »wieder gewinnen«. Im Wahlkampf hatte das noch ganz anders ausgesehen: Trump galt in den Kreisen, für die die Einstellung eines Kandidaten zu Abtreibung der wichtigste Wahlprüfstein ist, bestenfalls als wankelmütig. Der zweimal geschiedene Unternehmer entspricht nicht dem Idealbild eines gottesfürchtigen Christen. Schlimmer noch, Anfang des Jahrtausends bezeichnete er sich selbst als »pro-choice«. Im Wahlkampf 2016 versprach er dann zwar, der Frauengesundheitsorganisation »Planned Parenthood« – Lieblingsfeind der US-amerikanischen »Lebensschützer« – die staatlichen Gelder zu entziehen. Aber auch hier traf er den Ton nicht: In einer Art Überkompensation für seine bisherige unklare Haltung forderte er gar die Bestrafung von Frauen nach Abtreibungen. Daraufhin fühlten sich die Sprecher der größeren »Lebens­schutz«-Or­ga­nisationen genötigt, ­diese Forderung zurückzuweisen: Als »Lebens­schutz«-Bewegung sei man »pro-woman« und keineswegs für eine Bestrafung. Zwar ist es ein Widerspruch, den Fötus als Person und Abtreibung als Mord zu definieren, die »Mörderinnen« dann aber nicht zu bestrafen. Dennoch ging Trumps Forderung offenbar zu weit.

Nach der US-Wahl scheinen diese ­Irritationen vergeben und vergessen, denn Trump hat »geliefert«: Die Wiedereinsetzung der »Global Gag Rule«, die Nominierung des konservativen Richters Neil Gorsuch für den Supreme Court und die Entsendung des Vizepräsidenten und der Regierungssprecherin Kellyanne Conway als Redner zum »March for Life«. Angesichts der republikanischen Mehrheit in beiden Parlamentskammern hoffen die evangelikalen und ultrakatholischen Wähler auf die Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche.

Von diesem »Hoffnungsschimmer«, wie sich der Vorsitzende des »Bundesverbandes Lebensrecht« (BVL), Martin Lohmann, ausdrückte, würden sich die deutschen und europäischen »Lebensschützer« auch nur zu gerne beleuchten lassen. Der BVL organisiert den jährlichen »Marsch für das Leben« in Berlin. Von einer Teilnahme hochrangiger Regierungsvertreter können die hiesigen »Lebensschützer« wohl weiterhin nur träumen, seit 2010 hat kein Bundes- oder Landesminister mehr ein Grußwort geschickt. Anlässlich des letzten Marsches im September 2016 hatten sich vielmehr viele Politiker explizit distanziert, darunter der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Während der Berliner Erzbischof Heiner Koch an der Demonstration teilnahm, distanzierte sich die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz von dem Marsch und seinen Inhalten. »Lebensschützer« verfügen in keiner Partei in Deutschland über eine so starke Basis wie ihr US-amerikanisches Pendant in der republikanischen Partei. Mit zwei spektakulären CDU-Austritten – Lohmann bereits 2013, im ­Dezember 2016 Hedwig von Beverfoerde – entfernte sich die Bewegung in den vergangenen Jahren von den Christdemokraten. Politische Überschneidungen mit der AfD sind zwar vorhanden, aber nicht so groß, wie man meinen könnte. Beim »Marsch für das Leben« 2016 durfte die stellvertretende AfD- Vorsitzende Beatrix von Storch nicht mehr in der ersten Reihe mitlaufen, Lohmann betonte ausdrücklich die Überparteilichkeit des BVL und der Demonstration. Die Versuche, den Zugang zu Abtreibung auf lokaler Ebene über die Weigerung von Ärzten zu beschränken, konnten in der vergangenen Woche durch heftige öffentliche Proteste abgewendet werden. Auch die Kanzlerin wird die Hoffnungen wohl enttäuschen und der Einladung Lohmanns zum diesjährigen Berliner »Marsch für das Leben« nicht folgen – und das nicht nur, weil sie mit der eine Woche später stattfindenden Bundestagswahl genug zu tun haben wird.

Rezension von Sylvia Köchl: Wege von „Berufsverbrecherinnen“ in das Konzentrationslager Ravensbrück

Dieses Buch erzählt die Geschichten von acht „Berufsverbrecherinnen“ – vorbestrafte Abtreiberinnen und Diebinnen aus Österreich, die ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert wurden. (In GID 239, Dezember 2016, S. 42)

Diese Gruppe musste in den Konzentrationslagern einen „grünen Winkel“ tragen und galt selbst unter den Überlebenden als nicht dazugehörig. Über diese Häftlingsgruppe ist bis heute fast nichts bekannt, und von den Opfern existieren keinerlei Selbstzeugnisse. Anhand von Gerichtsakten rekonstruiert Sylvia Köchl die Biografien und arbeitet ein bisher unbekanntes Kapitel der NS-Geschichte auf.  Der Skandal war nach dem 2. Weltkrieg nicht vorbei: Die „Berufsverbrecherinnen“ haben bis heute keinen Anspruch auf Opferentschädigung. Erstaunlicherweise hat sich die Autorin für eine weitgehende Anonymisierung der verfolgten Frauen und ihrer Familien entschieden. Sie begründet das mit bis heute wiederkehrenden Stigmatisierungen der Opfer und ihrer Nachkommen wenn Geschichten von Vorstrafen, Gerichtsverfahren, Gefängnisaufenthalten und KZ-Haft bekannt würden. Die negativen Beispiele, die sie dafür anführt, stammen jedoch aus Mitte beziehungsweise Ende der 1990er Jahre. Interessant wäre es, diese sicherlich berechtigten Überlegungen mit den Debatten um die Namensnennung der „Euthanasie“-Opfer zu verknüpfen, die darauf abzielen, dass es für ein würdiges Gedenken notwendig ist, die vollständigen Namen der Opfer zu nennen und sie nicht erneut zu verstecken (siehe „Beinahe vergessene Opfer“, S. 33 in diesem Heft). Ein sehr verdienstvolles Buch, das auf intensiven Recherchen beruht und hoffentlich den Grundstein zu weiterer Aufarbeitung legt.

Sylvia Köchl: „Das Bedürfnis nach gerechter Sühne“. Wege von „Berufsverbrecherinnen“ in das Konzentrationslager Ravensbrück. Mandelbaum (2016), 340 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978385476-507-3

Rezension von Mareice Kaiser: Alles inklusive

Mareice Kaisers erstes Kind kam mit einer seltenen  Chromosomenanomalie auf die Welt, die pränatal nicht festgestellt worden war. Emergency Room statt Bullerbü, das Leben mit ihrer Tochter wird anders als erwartet. (In GID 239, Dezember 2016, S. 42)

Davon hat Kaiser schon viel auf ihrem Blog Kaiserinnenreich geschrieben, in dem Buch erzählt sie ihre Geschichte mit den Höhen und Tiefen nun zusammenhängend und ausführlich. Sie beschreibt das (anfängliche) Leben im Krankenhaus, die Suche nach Unterstützung, die ein selbstbestimmtes Leben wieder möglicher macht,  Diskussionen im Freundeskreis, den Kampf mit der Bürokratie – und mit sich selbst. Die Autorin tritt engagiert für eine inklusivere Gesellschaft ein, in der ihre Tochter von nichts ausgeschlossen wird. Es wird aber auch deutlich, dass sie dafür immer wieder ihre eigenen Wünsche und Erwartungen reflektieren muss, weil eben nicht nur die strukturelle Diskriminierung das Leben bestimmt, sondern auch der (eigene) Druck, das Kind zu optimieren. Um Pränataldiagnostik geht es dann doch noch, als Greta ein Geschwisterkind bekommen soll – zwei Kinder mit Mehrfachbehinderungen können sich die Eltern nicht vorstellen. Auf einer Veranstaltung in Berlin sagte die Autorin aber vor kurzem, dass sie das heute – nachdem sie so viel mehr über das Leben mit einem behinderten Kind weiß – nicht mehr machen lassen würde. Ein wichtiges Buch, das oft wütend aber auch glücklich macht.

Mareice Kaiser: Alles inklusive. Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter. Fischer Taschenbuch (2016), 14,99 Euro, 978-3-596-29606-4

Zwischen Wahl und Auswahl

Es ist nicht nur kein Widerspruch, für das Recht auf Abtreibung einzustehen und gleichzeitig selektive pränatale Diagnostik zu kritisieren – es ist sogar notwendig. (In Jungle World 49, 8.12.16)

Ein linker, intersektionaler, emanzi­patorischer Feminismus kann die Kritik, die Feministinnen mit Behinderung bereits in den achtziger Jahren formulierten, nicht einfach ignorieren. Auch wenn es auf den ersten Blick ­einfacher aussehen mag, den reaktionären »Lebensschützern« das Recht auf Selbstbestimmung entgegenzuhalten – ein wenig komplexer darf feministische Praxis schon sein.

Konsens dürfte unter Feministinnen sein: Eine schwangere Person sollte nicht dazu gezwungen werden können, ihren Körper zur Verfügung zu stellen und ein Kind zu bekommen, wenn sie es nicht austragen will. die Paragraphen 218 (Deutschland) und 96 (Österreich) müssen aus den jeweiligen Strafgesetzbüchern gestrichen werden. Das wachsende Angebot an pränataler Diagnostik zu kritisieren, ist allerdings nötig, denn diese ist allzu oft normierend, angstmachend und behindertenfeindlich.

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