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Fuck Freedom Day

Bis zum 20. März sollen fast alle Corona­maßnahmen abgeschafft werden. Für viele bedeutet das mehr Freiheit, für Risiko­gruppen das genaue Gegenteil. Bodycheck – Meine Kolumne zu Biopolitik und Alltag in der Jungle World 08/2022

Die Covid-19-Pandemie ist in einer Phase, in der die allermeisten erschöpft und gereizt sind. Der zweite Covid-Winter geht ihnen hart auf die Nerven. Daraus werden jedoch sehr unterschiedliche Schlüsse gezogen: »Querdenker« und FDPler sehen die Freiheit ­gefährdet, weil sie ohne Impfnachweis keine Schuhe kaufen können (außer in Bayern, da gehören Schuhe zu den Gütern des täglichen Bedarfs). Viele Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten sowie Eltern von kleinen Kindern haben dagegen den Eindruck, dass sie nicht zählen. Weitgehende Lockerungen bedeuten für sie, gänzlich selbst für den eigenen Schutz sorgen zu müssen.

Die vergangene Woche auf der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen schrittweisen Lockerungen – private Treffen ohne Teilnehmerobergrenze, Wegfall der Zugangskontrollen im Einzelhandel, Öffnung von Clubs und Diskotheken mit 2G-plus-Regelung – erhöhen das Infektionsrisiko zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Inzidenzen sind weiterhin vierstellig, die kritische Infrastruktur ist ­immer noch gefährdet, wenn zu viele Leute gleichzeitig erkranken. Zwar weiß vermutlich sowieso fast niemand, wie viele Menschen sich zurzeit privat treffen dürfen, die 2G-Regel im Handel wird nicht gerade scharf kontrolliert, und der neue Subtyp von Omikron ist so ansteckend, dass es keiner Großveranstaltungen mit 25 000 Zuschauern bedarf, um für massenhafte Infektionen zu sorgen. Aber so zu tun, als wäre das alles wieder unproblematisch möglich, sendet ein völlig falsches Signal. Man beendet Maßnahmen norma­lerweise, wenn sie nicht zweckmäßig oder nicht mehr nötig sind. Genau diesen Eindruck erwecken die Öffnungen und die Rhetorik vom »Freedom Day« am 20. März: Das Schlimmste ist vorbei, jetzt kann alles wieder zum normalen Leben zurückkehren.

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Gegen die Wand

Die Omikron-Welle führt zu berechtigten Einschränkungen, aber auch zu viel Chaos. Bodycheck – Meine Kolumne zu Biopolitik und Alltag in der Jungle World 04/22

Die Omikron-Wand ist da – im Berliner Abwasser hat die neue Variante nun Delta messbar abgelöst. Die höhere Ansteckungsgefahr durch Omikron und die befürchtete Überlastung aller Versorgungssysteme wird täglich deutlicher. Das führt zu berechtigten Einschränkungen, aber auch zu viel Chaos.

Diese Entwicklung kündigte sich bereits Ende des vergangenen Jahres an, als ich mich noch von der Chemotherapie und der Brustkrebsoperation erholte. Leider war der Resttumor bei der Operation noch fünf Zentimeter groß, was mein Risiko für ein Rezidiv signifikant erhöht. Das heißt nicht, dass die Chemo nicht gewirkt hätte, sondern, dass der Tumor auch aus Zellen bestand, die auf die Chemo nicht so gut angesprochen haben. Diese sollen nun mit einer Antihormontherapie in Schach gehalten werden: bye-bye Östrogen, hallo Wechseljahre.

Die Tumorkonferenz empfahl mir zusätzlich eine Bestrahlung der ehemaligen Brust, um Krebszellen in diesem Bereich abzutöten. Vor der Operation war mir gesagt worden, dass das nach einer Mastektomie, also der Entfernung der betroffenen Brust, nicht ­nötig sei, wenn die Lymphknoten nicht befallen sind. Auf die Bestrahlung hätte ich gerne verzichtet, vor allem, weil man da ­jeden Tag hin muss. In der Omikron-Welle jeden Tag mit Bus und Bahn ins Krankenhaus fahren und dort auch mal länger warten – keine besonders verlockende Vorstellung. Aber fünf Zentimeter Tumor lassen nicht mit sich diskutieren. Daher fahre ich seit Weihnachten jeden Tag von Nordneukölln nach Südneukölln – schön durch die sich aufbauende Omikron-Wand. Neukölln ist momentan der Bezirk mit der dritthöchsten Inzidenz in Deutschland.

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