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Auf zum Bundesverfassungs­gericht

Bodycheck – Kolumne zu Biopolitik und Alltag, in der Jungle World 32/21

Den Personenstand an das eigene Geschlecht anzupassen, ist kompliziert und belastend. Das Amtsgericht Münster hat die bestehende Gesetzeslage kritisiert und zur erneuten Überprüfung an das Bundesverfassungsgericht überwiesen.

Die Bundesrepublik ist geschlechtspolitisch ein rückschrittliches Land. Das Transsexuellengesetz stammt aus dem Jahr 1981. Auch diese Legislaturperiode wird ohne seine Reform zu Ende gehen, ganz zu schweigen von der Verabschiedung eines Gesetzes, das die geschlechtliche Selbstbestimmung von Menschen anerkennen würde.

Jeder noch so kleine Fortschritt in diese Richtung musste bisher mühsamst vor Gericht erstritten werden. Demnächst steht eine weitere höchstgerichtliche Auseinandersetzung bevor: Das Amtsgericht Münster hat den Paragraphen 45b des Personenstandgesetzes (PStG) zur Prüfung an das Bundesverfassungsgericht verwiesen. Seit 2018 ist es unter Berufung auf diesen Paragraphen möglich, Name und Geschlechtseintrag ändern zu lassen und dabei auch die Option »divers« zu wählen. Auch dieses Gesetz ist erst beschlossen worden, nachdem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts das verlangt hatte.

Nicht nur intergeschlechtliche, auch transgeschlechtliche Menschen nutzen seither diese Möglichkeit, da eine Änderung des Geschlechtseintrags über den Weg des Personenstandsgesetzes weniger aufwendig und belastend ist als über den des Transsexuellengesetzes. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte deswegen in einem in Brief an die Standesämter klar, dass das Gesetz nur von intergeschlechtlichen Menschen genutzt werden dürfe. Dabei ist diesbezüglich weder das Urteil des Verfassungsgerichts noch die im Gesetz gebrauchte Formulierung »Variante der Geschlechtsentwicklung« eindeutig; zudem ist es ein eher ungewöhnlicher Vorgang, dass ein Minister im Nachhinein Gesetze interpretiert.
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Fragliche Normen

Interview mit Ulrike Klöppel über den Schutz von intergeschlechtlichen Kindern

Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche den Gesetzentwurf zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern vor medizinisch unnötigen Eingriffen beschlossen. Wieso wurde der Gesetzesentwurf nötig?

Seit den 1950er Jahren werden Kinder, die mit Genitalien und Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommen, die nicht der männlichen oder weiblichen Norm entsprechen, zurechtoperiert. Die Annahme war, dass es für Eltern leichter ist, solche Kinder als eindeutige Mädchen oder Jungen zu erziehen, und dass es auch für die Kinder besser ist. In den 1990er Jahren wagten sich intergeschlechtliche Aktivist*innen an die Öffentlichkeit. Sie sprachen über ihre Narben, den Verlust ihrer sexuellen Empfindsamkeit und über die Unsicherheiten und Ängste, die das Verschweigen dieser Eingriffe ausgelöst hatte. Mittlerweile werden solche Operationen als Verletzung der Menschenrechte angesehen. Internationale Menschenrechtsinstitutionen fordern, diese Verletzung der körperlichen Integrität zu unterbinden. Dem will nun das Justizministerium mit diesem Gesetzesentwurf nachkommen.

Ist das gelungen?

Es ist erst mal gut, dass die Regierung das Gesetz noch vor dem Wahlkampf durchbringen will. Probleme des Entwurfs vom Januar, zum Beispiel die weitreichenden Ausnahmen von dem Verbot, sind geändert. Der jetzige Entwurf beschränkt das Verbot auf Genitaloperationen, hormonelle und andere medikamentöse Behandlungen an nicht einwilligungsfähigen intergeschlechtlichen Kindern. Das bezieht sich hauptsächlich auf Kinder unter zehn Jahre. Das Gesetz ist damit nicht umfassend genug, und ich bezweifle, dass es in der Praxis so wirksam sein wird, wie es zum Schutz der Kinder nötig wäre.

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