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„Von mancher erhielten wir den Vorwurf der Vereinnahmung“

Repro-Dossier des Missy Magazine 04/16 in Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie.

Die Anfänge feministischer und grüner Technologiekritik in den 1980ern

Die grüne Partei war einer der ersten gesellschaftlichen Akteure, der die aufkommende Gentechnik in der Bundesrepublik kritisierte. Daran hatten auch die Feministinnen in der Partei ihren Anteil. Ein Blick in die Sammlung des Grünen Archivs zeigt aber, dass dies nicht nur positiv aufgenommen wurde: Wichtige Akteurinnen der Frauenbewegung fürchteten Vereinnahmung, in der Partei kam einigen die ökologischen Aspekte der Kritik zu kurz. Ein Rundblick in die lebendigen Debatten der 1980er Jahre, die teilweise an die heutigen erinnern.

In den 1980er Jahren entwickelten Feministinnen verschiedener Strömungen Kritik an den aufkommenden Gentechniken und Reproduktionstechnologien. Bedeutend für die innerfeministische Debatte und die Entwicklung der Kritik waren die beiden bundesweiten Kongresse gegen Gen- und Reproduktionstechniken 1985 in Bonn und 1988 in Frankfurt. An den Kongressen nahmen jeweils um die 2000 Frauen/Lesben aus dem In- und Ausland teil. Hier flossen die unterschiedlichen thematischen Quellen der Kritik, nicht immer konfliktfrei, zusammen: Frauengesundheit, Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, feministische Wissenschaftskritik, Ablehnung von Bevölkerungspolitik und Solidarität mit Frauen der „3. Welt“, um nur einige zu nennen. Eine nicht unwichtige Rolle spielten hierbei auch die Grünen, wobei das Verhältnis zwischen Partei und Frauenbewegung bzw. zwischen Feministinnen in der Partei und außerhalb nicht unkompliziert war. Die grüne Partei, seit der Wahl 1983 im Bundestag vertreten, bot einen öffentlichen Raum für feministische Frauenpolitik und verstand sich auch als Anstoß und Motor für die gesellschaftliche Debatte über Gentechnik. Frauen und der feministischen Bewegung wurde dabei eine besondere Rolle zugeschrieben, da die damals neuen Reproduktionstechniken als Voraussetzung der gentechnischen Anwendung am Menschen betrachtet wurden.[2]

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Alles können, alles dürfen?

Moderne Technologien versprechen neue Möglichkeiten – doch verstärken gleichzeitig die Ideologie der Kleinfamilie.

Text im Repro-Dossier des Missy Magazine 04/16 in Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie.

Als ich kürzlich für eine Lesung in Zürich ankam, empfing mich am Bahnhof ein Megaposter. Darauf war eine selbstbewusst auftretende, junge Frau zu sehen mit der Botschaft: „Meine Dinger, mein Ding“ – eine Reklame für Brustoperationen um 9.800 Franken. Ziel der Kampagne sei es, das Thema Schönheitsoperationen zu „enttabuisieren“, wie ich später las. Oder auch, jungen Frauen zu suggerieren, sie könnten sich mit ihrem Körper nur dann wohlfühlen, wenn sie entsprechende Korrekturen vornehmen ließen, möchte man hinzufügen. Die Werbung verspricht weibliche Selbstbestimmung und Kontrolle über den eigenen Körper – damit bedient sie sich an Versatzstücken feministischer Kämpfe und wendet diese marktförmig und herrschaftskonform.

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Verbesserung notwendig

Behindertenorganisationen protestieren gegen das geplante Bundesteilhabegesetz. (In Jungle World 45, 10.11.16)

In drei Wochen soll der Bundestag das Bundesteilhabegesetz verabschieden, das Deutschland der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ein großes Stück näherbringen soll. Das jedenfalls behauptet im Namen der Bundesregierung die verantwortliche Ministerin Andrea Nahles (SPD). Am Montag tagte der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales zum Thema, die geladenen Fachleute waren sich allerdings weitgehend einig, dass weitreichende Änderungen nötig wären, um das Gesetz in Einklang mit der UN-BRK zu bringen. Selbst die von den Regierungsparteien eingeladenen Expertinnen und Experten mahnten Verbesserungen an. Bedenklich ist beispielsweise die geplante Beschränkung der Leistungsberechtigung auf Menschen, deren Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe in fünf von neun Lebensbereichen beeinträchtigt ist. Vor allem Sinnesbeeinträchtigte wie Blinde oder Hörgeschädigte, aber auch psychisch kranke Menschen, die Assistenz benötigen, würden damit keine Hilfe mehr erhalten. Umso problematischer ist, dass weder blinde, gehörlose oder schwerhörige Menschen noch die Verbände psychisch beeinträchtigter Menschen als Sachverständige geladen waren.

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(K)eine Liste?

Bereits die zweite Veröffentlichung detaillierter Daten durch ein zertifiziertes PID-Zentrum rüttelt am Geheimhaltungsgebot und bereitet den Weg für eine Indikationsliste. (In GID 238, Oktober 2016, S. 45 – 46)

„Der befürchtete Dammbruch ist bisher ausgeblieben“, schrieb Heike Korzilius im Deutschen Ärzteblatt im August beruhigend.1 Diese Bilanz der Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ignoriert allerdings die deutlichen Bemühungen, die Gesetzesauslegung liberaler zu gestalten. Die relativ restriktive Gesetzgebung wird auf zwei Wegen angegriffen – zum einen durch Veröffentlichungen von Diagnosen, zum andern durch den Versuch, verschiedene Techniken und Diagnosen als nicht unter die Gesetzgebung fallend zu erklären.

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Für das eigene Kind

Die Reproduktionsmedizin entwickelt sich rasch. Im September wurde die Geburt eines Drei-Eltern-Babys gemeldet. Im Oktober machte die Herstellung funktionstüchtiger Eizellen aus Mäusehaut Schlagzeilen und kürzlich hieß es, die WHO wolle ihre Definition von Unfruchtbarkeit ausdehnen. (In Jungle World 44, 3.11.16)

Japanischen Forschern von der Universität Fukuoka ist es erstmals gelungen, Hautzellen zu embryonalen Stammzellen zurückzuprogrammieren und sie anschließend außerhalb des Körpers einer Maus wieder in Eizellen umzuwandeln. Ganz von selbst haben sich die Eizellen der Entwicklungsbiologen Orie Hikabe und Katsuhiko Hayashi allerdings nicht entwickelt. Um eine eierstockähnliche Atmosphäre herzustellen, mussten in der Petrischale auch »normale« Eizellen schwimmen. Welche Botenstoffe dabei wann welche Prozesse auslösten, ist nicht geklärt. Doch trotz dieser Unklarheiten handelt es sich um einen weiteren Schritt zur Reproduktion im Labor. Im Jahr 2012 war es Hayashi bereits gelungen, Vorstufen von Eizellen herzustellen, die allerdings einige Zeit im Eierstock einer weiblichen Maus verbleiben mussten, um volle Funktionsfähigkeit zu erlangen. Auch Spermien konnten über den Umweg von Mäusehoden produziert werden. Bei dem jetzt in der Fachzeitschrift Nature vorgestellten Verfahren findet auch die Reifung und somit der gesamte Prozess in der Petrischale statt. Um zu beweisen, dass die künstlichen Eizellen wirklich funktionieren, haben die Reproduktionsbiologen diese per In-vitro-Fertilisation (IVF) befruchtet und weiblichen Mäusen eingesetzt. Die Erfolgsquote: 3 000 Eizellen, 316 Embryonen, elf geborene Mäuse, die alle »gesund und fruchtbar« gewesen sein sollen.

Spannungsfeld Reproduktive Rechte – ein Streifzug

in spw 216 Feministische Spannungsfelder
Die feministische Debatte um Reproduktive Rechte ist wieder neu entbrannt und sie ist bedeutend vielfältiger geworden. Dazu hat die Ausdifferenzierung der Familienformen genauso beigetragen wie technische Entwicklungen. Dieser Wandel führt vermehrt zu einem Auseinanderfallen von biologischer und sozialer Elternschaft. Das deutsche Embryonenschutzgesetz (EschG), das den Gebrauch von Reproduktionstechnologien regelt, trat 1990 in Kraft. Es kann daher keine expliziten Aussagen zu Techniken treffen, die erst danach entwickelt wurden und bedarf der Überarbeitung. In der Zwischenzeit ist der Bundesgerichtshof (BGH) zum „Reparaturbetrieb“ für die entstandenen Lücken geworden.
Der Gesetzgeber hat hierauf bislang nur punktuell reagiert. Für die nächste Legislaturperiode wird allerdings die Erarbeitung eines Fortpflanzungsmedizingesetzes erwartet, das die neuenTechniken und die veränderte Familienbildung neu regelt. Mehrere Entwürfe sollen bereits in verschiedenen Schubladen liegen. Neoliberale Entwürfe gibt es bereits mehrere, sie würden die Gesetzeslücken am liebsten mit Erlaubnissen statt Verboten füllen. Auch die Konservativen sind sich über ihre Vorschläge weitgehend klar: Schutzrechte, die den Embryo zur Person aufwerten und Elternrechte nur für verheiratete Heterosexuelle reservieren, gerne mit mehr Rechten für den männliche Part. Ein kohärenter linker und feministischer Entwurf fehlt noch – viele Fragensind noch offen, von denen im Folgenden einige angerissen werden sollen.

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Schlimmer geht immer

In Polen soll das Abtreibungsgesetz verschärft werden. Doch dagegen regt sich Widerstand von Aktivistinnen und linken Parteien. (In taz 29. 9. 2016)

In erster Lesung genehmigte das polnische Parlament am 23. September einen Gesetzentwurf, nach dem fast jede Abtreibung unter Strafe gestellt werden soll. Einzige Ausnahme: bei Lebensgefahr für die Schwangere. Der Entwurf liegt nun dem Justiz- und Menschenrechtsausschuss vor. Das jetzige Gesetz ist schon schlimm genug: Legal ist eine Abtreibung nur, wenn die Gesundheit oder das Leben der werdenden Mutter gefährdet ist, wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist, oder wenn eine schwere Behinderung des Fötus diagnostiziert wurde. Doch nicht einmal in diesen Fällen ist es tatsächlich möglich, einen Abbruch vornehmen zu lassen. Frauenrechtsorganisationen gehen schon jetzt von 200.000 illegalen und oft lebensgefährlichen Abtreibungen jährlich aus. …

Die Petition hatte diesen Erfolg nicht nur aus frauenfeindlichen Motiven: Sie enthielt die Forderung nach besserer Unterstützung von Frauen und Familien, die ein behindertes Kind großziehen und einer Einschränkung der pränatalen Diagnostik. Zur Mobilisierung wurde beispielsweise ein Video von einem Kind mit einer Behinderung benutzt, das nach seiner Abtreibung noch lebte. Unter dem Motto „Czarny Protest“ (Schwarzer Protest) mobilisieren Frauenrechtsgruppen und linke Parteien gegen das Gesetzesvorhaben. Ihr Ziel ist der Erhalt des jetzigen Gesetzes sowie die Möglichkeit, ohne Angabe von Gründen bis zur zwölften Woche abtreiben zu können. Über 200.000 Menschen haben die Petition unterschrieben, die vom Parlament jedoch abgelehnt wurde. Doch die Bewegung sollte nicht den Fehler machen, die Themen Behinderung, pränatale Diagnostik und selektive Schwangerschaftsabbrüche deshalb den Konservativen zu überlassen.

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Wenn „Selbstbestimmung“ nicht mehr weiterhilft

Feministische Slogans sind keine Wunderwaffe gegen die Methoden der Pränataldiagnostik (in ak Nr. 619 / 20.9.2016 )

Am 17. September war es wieder soweit: Der »Marsch für das Leben« zog durch Berlin. Mehrere Tausend »Lebensschützer« demonstrierten mit einem Schweigemarsch gegen Abtreibung. Die Proteste gegen diese Märsche erfreuen sich in linken und (queer)feministischen Kreisen zunehmender Beliebtheit. Den radikalen Abtreibungsgegner_innen hauptsächlich mit der Parole des »Rechts auf Selbstbestimmung« begegnen zu wollen, ist jedoch eine problematische Strategie.

Politisch aktive Abtreibungsgegner_innen rekrutieren sich aus einem konservativen bis rechten, christlichen Milieu. Die »Lebensschützer« als Bewegung eint die Annahme, dass »das Leben« mit der Vereinigung von Eizelle und Samenzelle beginnt und unbedingt schützenswert ist. Der Abbruch einer Schwangerschaft, die Verhinderung der Einnistung der befruchteten Eizelle zum Beispiel durch die »Pille danach« oder auch die Nichteinpflanzung oder Zerstörung eines Embryos im Labor gelten ihnen als inakzeptable Tötungsvorgänge.

Seit 2002 findet der »Marsch für das Leben« in Berlin unter dem Motto »Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie!« statt. Bei der als Schweigemarsch durchgeführten Demonstration werden ein Meter hohe weiße Holzkreuze und vom organisierenden Bundesverband Lebensrecht (BVL) vorgefertigte Schilder im einheitlichen Design mitgeführt. Auf letzteren wird zunehmend nicht mehr nur Abtreibung, sondern ein breiteres biopolitisches Themenfeld bespielt: Kritisiert werden die Selektion von als behindert diagnostizierten Föten und als »Euthanasie« bezeichnete Sterbehilfe. Radikale Abtreibungsgegner_innen versuchen, sich als wichtigste Kritiker_innen an Pränataldiagnostik darzustellen und diese Kritik im öffentlichen Bewusstsein möglichst untrennbar mit dem Konzept des »Lebensschutzes« zu verknüpfen: Bei dem letztjährigen Marsch wurde mit dem Spruch »Inklusion beginnt schon vor der Geburt« das vorrangige behindertenpolitische Ziel der gesellschaftlichen Inklusion behinderter Menschen mit einer Kritik an Abtreibung verbunden.
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„Hauptstadt des Tötens“

Raucherecke (in Jungle World 38/16)
Beatrix von Storch durfte nicht in der ersten Reihe laufen. Anders als im Vorjahr war die stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD beim zwölften »Marsch für das Leben« in Berlin nicht ganz vorn dabei. Der vom »Bundesverband Lebensrecht« (BVL) organisierte Schweigemarsch ist die jährliche zentrale Aktion fundamentalistischer Abtreibungsgegner. Er fand in diesem Jahr unter dem Motto »Kein Kind ist unzumutbar« und unter besonderen Um­ständen statt: einen Tag vor den Wahlen in Berlin, parallel zu den Großdemons­trationen gegen Ceta und TTIP und einen guten Monat, nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss ein Verfahren eröffnet hat, das den Bluttest auf Trisomien zur Regelleistung der Krankenkassen machen könnte. Folgerichtig bestimmte das Thema Pränataldiagnostik die Auftaktkundgebung des Marsches. Allein vier Redner beschäftigten sich mit den selektiven und behindertenfeindlichen Implikationen des Tests, darunter der ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, und eine junge Frau, die mit Trisomie 21 lebt.
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Wahl oder Pflicht? Schwangere zwischen Selbst- und Fremdbestimmung

Pränatale Untersuchungen während der Schwangerschaft sind ein hoch emotionales Thema. Mit der Ausweitung diagnostischer Methoden – wie etwa dem nicht invasiven Bluttest PraenaTest – steigt der Druck auf werdende Mütter. Alle medizinischen Möglichkeiten zum Ausschluss einer Behinderung des eigenen Kindes auszuschöpfen, scheint mehr und mehr zur Pflicht zu werden. Ein Abbruch der Schwangerschaft wird zunehmend zur „Lösung“ nach einer Diagnose. Unsere Autorin beschreibt, in welchem Spannungsfeld sich Schwangere heute positionieren müssen. Und sie stellt infrage, dass die neuen medizinischen Möglichkeiten wirklich zu mehr Selbstbestimmung der Frau führen, so wie es im feministischen Diskurs häufig behauptet wird.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik, Klaus Zerres, sagte im Juni 2015 auf einer Veranstaltung des Gunda-Werner-Instituts in Berlin, man könne den PraenaTest nicht kritisieren, wenn man nicht bereit sei, die gesamte Praxis der pränatalen Diagnostik (PND) infrage zu stellen. Zwar sind der Test und die Art, wie diese neuartigen nicht invasiven pränatalen Tests vermarktet werden, bereits an sich fragwürdig, allerdings passen sie sich hervorragend in die bisherige Logik pränataler Untersuchungen ein.

mehr in der Printausgabe Dr. med. Mabuse Nr. 221 (3/2016) Schwerpunkt: Familie