Gegen eine Beratungsstelle für Schwangere der „Lebensschutz“-Organisation Pro Femina regt sich Widerstand. Selbst die SPD fordert inzwischen die Schließung. In der taz vom 12.11.19, S. 23 Berlinteil
Pro Femina hat am 1. Juli in Berlin eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle eröffnet – und stellt keine Beratungsscheine für ungewollt Schwangere aus. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Kristijan Aufiero, bezeichnete diese bereits 2008 in einem Interview auf einer Pro-Femina-nahen Website als „Tötungslizenzen“. Diese Beratungsscheine brauchen Schwangere in Deutschland aber, um ungestraft abtreiben zu können. Pro Femina ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein, der laut eigenen Angaben in diesem Jahr bereits 12.420 schwangere Frauen beraten hat, die meisten online oder telefonisch.
Die
Delegierten des Berliner Landesparteitags der SPD haben diese Praxis am
26. Oktober verurteilt und die Schließung der Beratungsstelle
gefordert. Daniela Döbler, die stellvertretende Landesvorsitzende der
antragstellenden Jusos, spricht gegenüber der taz von einem „politischen
Beschluss, der den Handlungsbedarf aufzeigen“ solle. Die von der
Beratungsstelle betriebene „Irreführung von Schwangeren“ führe im
schlimmsten Fall zu einer Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen
Frist von 12 Wochen, was den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft
sehr erschwere.
Grundlage der Anträge ist eine Recherche des Onlineportals Buzzfeed
vom vergangenen Dezember. Eine Reporterin hatte sich als schwanger
ausgegeben und sich in den beiden bisherigen Beratungsstellen in München
und Heidelberg beraten lassen. Die vorgeblich ungewollt Schwangere sei
erst spät darüber informiert worden, dass Pro Femina keine
Beratungsscheine ausstelle, konkrete Informationen über die von ihr
gewünschte Abtreibung haben die Beraterinnen nicht vermittelt,
stattdessen Hilfen angeboten für den Fall, dass sie das Kind doch
bekomme. Buzzfeed wirft der „Lebensschutz“-Organisation daher
Manipulation und Ausübung von moralischem Druck auf hilfesuchende Frauen
vor. Staatlich anerkannte Beratungsstellen sind durch das
Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet, ergebnisoffen zu beraten.
Das ist bei Pro Femina nicht der Fall. Der „Lebensschutz“-Organisation
geht es in erster Linie um die Verhinderung von
Schwangerschaftsabbrüchen.
Auf der Website lässt sich die
Zugehörigkeit zur „Lebensschutz“-Bewegung nur mit Expertenwissen
erahnen, etwas deutlicher wird sie auf der Kampagnenwebsite der
Organisation „1000plus“. Hier finden sich die Jahresberichte des Vereins
und die Verbindung zur Stiftung „Ja zum Leben“ und zur europäischen
Vernetzung von „Lebensschutz“-Initiativen, „One of Us“.
Von der Website von Pro Femina
führt aber keine Verbindung zu 1000plus – hier ist alles auf die
hilfesuchende Schwangere fokussiert. Auf eine Anfrage der taz antwortete
der Vorstandsvorsitzende des Vereins nur mit Gegenfragen. Er schreibt:
„Leider machen wir mit Journalisten aus dem linksextremen Lager immer
wieder die gleiche Erfahrung: Sie schreiben, was sie wollen – ganz
unabhängig davon, was stimmt und was nicht, und ganz gleich, ob wir auf
Fragen antworten oder nicht.“ Dem Onlineportal Buzzfeed wirft
Aufiero auf der Website von 1000plus „gezielte Desinformation“ vor. Eine
Unterlassungsaufforderung bezüglich Aussagen des beinahe ein Jahr alten
Artikels habe es jedoch nicht gegeben, erklärt die Autorin des Artikels
und Buzzfeedredakteurin, Juliane Löffler, auf Anfrage.
Aufiero sieht sich und seine Arbeit
zu Unrecht angegriffen und zunehmend unter Druck. Eine Sachbeschädigung
im Treppenhaus der Beratungsstelle, zu der es Anfang Oktober eine
Erklärung auf dem linken Bewegungsportal indymedia gab, stilisieren er
und rechte Medien zu einem „Anschlag“ hoch. Der Beschluss des
SPD-Landesparteitages ist für ihn ein „2. Anschlag“ auf die
Beratungsstelle; entsprechend dieser Wahrnehmung warnt er vor „dem neuen
Linksextremismus“.
Auf der Website von Pro Femina
findet sich mittlerweile unter der Rubrik „Unsere Arbeit“ der Hinweis,
dass Pro Femina „NICHT Teil des staatlichen Beratungssystems“ ist und
keine Beratungsscheine ausstellt. Dieser Hinweis existierte mindestens
bis kurz vor der Veröffentlichung der Buzzfeed-Recherchen im
Dezember 2018 nicht. Für die Feministin Döbler ist dieser Hinweis nicht
ausreichend, er müsse mindestens „prominent auf der Startseite“ zu
finden sein, ohne dass man sich bis zu der entsprechenden Seite
durchklicken muss.
Die Beratungsstelle in Berlin ist
für Döbler vor allem ein Symptom dessen, dass Abtreibungsgegner die
aktuelle Gesetzeslage nutzen, um ihre Agenda durchzusetzen. Der Zwang
zur Beratung werde missbraucht, um mit ungewollt Schwangeren in Kontakt
zu kommen. Auf das Problem des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen
weist auch Lisa Müller vom queerfeministischen Bündnis What the Fuck
hin. Das Bündnis hatte schon am 1. August eine Kundgebung vor der
Beratungsstelle durchgeführt und deren Schließung gefordert. Müller geht
davon aus, dass das umstrittene „Werbeverbot“ in Paragraf 219a dazu
führt, dass suchmaschinenoptimierte Websites wie die von Pro Femina
leichter gefunden würden, da Ärztinnen sehr vorsichtig sein und
überlegen müssten, welche Informationen sie auf welche Weise online
stellen.
Die Pressesprecherin der
Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Lena
Högemann, antwortete auf die Anfrage der taz nach einer Reaktion auf den
konsensualen Parteitagsbeschluss, Debatten innerhalb der SPD könne die
Senatsverwaltung nicht kommentieren. Aktuell werde aber „keine
Möglichkeit einer Prüfung oder eines Vorgehens gegen die Beratungsstelle
Pro Femina gesehen“. Berlin werde das Thema allerdings beim nächsten
Koordinierungskreis zwischen Bund und Ländern einbringen, um auf dieser
Ebene eine juristische Prüfung vornehmen zu lassen. Ein „Vorgehen gegen
Beratungsstellen, die möglicherweise unseriös arbeiten“, sei
„juristisch sehr komplex“. Über die Ergebnisse des Treffens, das am 5.
und 6. November in Köln stattfand, war bis Redaktionsschluss noch nichts
bekannt.