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Radiointerview mit Radio FRO 105,0

Feministische Kontroversen: Der Begriff der Selbstbestimmung und die Praxis der Pränataldiagnostik/selektiver Abtreibung

Im Oktober war sie auf Lesereise in Österreich, um ihr 2015 im Verbrecherverlag erschienenes Buch „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ vorzustellen. In dem Buch beschäftigt sie sich zum einen bewegungsgeschichtlich mit den feministischen Kämpfen um Abtreibung in der BRD, als auch mit der Behindertenrechtsbewegung. Sie bringt diese durch eine kritische Diskussion des Selbstbestimmungsbegriffes zusammen. Im Fokus steht ihre Auseinandersetzung mit selektiver Pränataldiagnostik, die mittlerweile, wenn eine Behinderung des Kindes angenommen wird, meistens zur Abtreibung führt.

Sie plädiert an Feminist_innen und Abtreibungsaktivist_innen, aktuelle Entwicklungen rund um Pränataldiagnostik und die Auswirkungen von selektiver Abtreibung nicht außer Acht zu lassen, sondern diese zu diskutieren und Stellung zu beziehen. Dabei geht es ihr auch darum, das Thema nicht den sogenannten Lebensschützern zu überlassen, die auf ihren „Märschen für das Leben“ Menschen mit Behinderung immer stärker einbinden, um Frauen das Recht auf Abtreibung generell abzusprechen. Im Gespräch macht Achtelik konkrete Vorschläge, um einer Normalisierung selektiver Diagnostik entgegenzuwirken und die Selbstbestimmung von schwangeren Frauen  zu stärken.

Christiane Löper, Redakteurin bei Radio Fro traf Kirsten Achtelik Interview in Salzburg.

06.07.2017 – Mainz

18 – 20 Uhr in der Heinrich Böll Stiftung, Walpodenstr. 10 in Mainz, Veranstalter Frauenzentrum Mainz in Kooperation mit pro familia Zentrum Mainz, Heinrich Böll Stiftung RLP

Vortrag von Kirsten Achtelik

Wie selbstbestimmt kann eine Entscheidung über pränataldiagnostische Untersuchungen in einer Gesellschaft sein, in der Behinderung immer noch als problematisch und schwierig angesehen wird?
Pränataldiagnostik ist ein komplexes und umstrittenes Thema. Befürworter_innen betonen das Recht auf Wissen, Kritiker_innen fordern ein Recht auf Nichtwissen ein. Dissens besteht auch darüber, welche Untersuchungen für die Gesundheit von Schwangeren und werdenden Kindern wichtig sind. Mit der Ausweitung diagnostischer Methoden – wie etwa dem nicht invasiven Bluttest PraenaTest – steigt der Druck auf Schwangere alle medizinischen Möglichkeiten zum Ausschluss einer Behinderung auszuschöpfen. Können Beratung und Information dieser Dynamik genug entgegensetzen?
Kirsten Achtelik diskutiert in ihrem Vortrag, wie die Forderung nach einem Recht auf Abtreibung mit einer feminisischen Kritik an Pränataldiagnostik zusammengedacht werden kann.

03.07.2017 – Frankfurt

20 Uhr, KARL MARX BUCHHANDLUNG, Jordanstr. 11

Selbstbestimmung ist eine der zentralen Forderungen sozialer Bewegungen im Anschluss an die Revolten der 1960er Jahre gewesen. Insbesondere die Frauenbewegung und – allzu oft vergessen – die Behindertenbewegung haben sich an der Ausgestaltung dieser Forderung abgearbeitet. Selbstbestimmung über die eigenen reproduktiven Möglichkeiten aus feministischer Sicht und Selbstbestimmung über ein Leben mit Behinderung können jedoch in Widerspruch zueinander treten.
Kirsten Achtelik nimmt in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ die historische Phase nach Beendigung der mörderischen Eugenik im Nationalsozialismus in den Blick. In der Bundesrepublik wurden zunehmend modernisierte und individualisierte Argumente zur Begündung von selektiver Pränataldiagnostik verwendet – Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und die Verhinderung von Leid. Die vermeintlich freie, individuelle Entscheidung führt in Kombination mit gesellschaftlicher Behindertenfeindlichkeit (Ableism) zu der immer gleichen Entscheidung: Etwa neun von zehn Frauen entscheiden sich heute bei der Diagnose „Trisomie 21“ zum Schwangerschaftsabbruch.
Achtelik setzt der selektiven pränatalen Suche nach Behinderung eine „Selbstbestimmung ohne Selektion“ entgegen. Wie diese aussehen kann und welche Fallstricke diese Debatte enthält, darüber diskutieren wir mit der Autorin anlässlich ihrer Buchvorstellung.

11.06.17 – Frankfurt

Podiumsdiskussion: Technologie. Reproduktion. Reprorevolution?

organisiert von Kritik&Praxis – radikale Linke Frankfurt

19:00 – 22:30 Kunstverein Familie Montez, Honsellstrasse, 60314 Frankfurt am Main

Medizin und Pharmakologie eröffnen heute neue Möglichkeiten für eine Reproduktion der menschlichen Gattung, die sich von der Natur als „Schicksal“ lösen kann. Ebenso offenbart sich Zweigeschlechtlichkeit damit als ein immer sozial wie technisch hergestelltes Konstrukt. Allerdings vollzieht sich diese Entwicklung unter den Bedingungen eines expandieren, globalen Marktes: Ein Outsourcing des Biologischen, z.B. durch Eizellenentnahme und Leihmutterschaft, an meist prekarisierten Frauen ist die Folge. Daher stellt sich die Frage: Warum ist es nicht möglich, den technologischen Fortschritt zu nutzen, um die Reproduktion kollektiv zu organisieren und das Patriarchat sowie das binäre Geschlechterverhältnis auf den Müllhaufen der Geschichte zu katapultieren? Wir wollen diskutieren, wie Gen- und Reproduktionstechnologien die gegenwärtigen Machtverhältnisse reproduzieren und strukturieren.

Mit Kirsten Achtelik und Johannes Paul Raether

01.06.17 – Gießen

Vortrag und Diskussion: „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ mit Kirsten Achtelik

Sollen Feministinnen jede Art von Abtreibung verteidigen? Können Entscheidungen überhaupt selbstbestimmt getroffen werden? Welche Art von Wissen entsteht durch pränatale Untersuchungen? Dienen sie der Vorsorge oder sind sie behindertenfeindlich?

Unterstützt durch die Arbeitsstelle Gender Studies (AGS) und das Gießener Graduiertenzentrum Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften (GGS)
20:00 bis 21:30 Uhr Goethestraße 58, 35390 Gießen – Raum 201 (barrierefrei)

Redebeitrag Kundgebung Münster

Bei den Protesten gegen den „1000 Kreuze Marsch“ in Münster (übrigens mit AfD-Beteiligung) am 18. März 2017 hab ich eine kleine Rede darüber gehalten, warum es wichtig ist, sich gegen „Lebenschützer“ und pränatale Diagnostik einzusetzen:

Liebe Leute,

herzliche und kämpferische Grüße aus Berlin!

Die Diskussionen um Abtreibung, aber auch um Pränataldiagnostik und Behinderung haben im vergangenen Jahr zugenommen. Die Initiative polnischer „Lebensschützer“, das dortige ohnehin restriktive Abtreibungsgesetz massiv zu verschärfen, schaffte es zwar ins Parlament – riesige Proteste brachten die Regierungspartei PiS jedoch dazu, ihre Unterstützung zurückzuziehen. In Deutschland gab es mehrere Versuche, unter Berufung auf das Recht auf ärztliche Gewissensfreiheit Kliniken und ganze Regierungsbezirke „abtreibungsfrei“ zu machen (Schaumburg, Dannenberg). Dies konnten Aktivist*innen durch Öffentlichkeitsarbeit und Protest glücklicherweise verhindern.

In den öffentlichen und medialen Debatten um Pränataldiagnostik und die neuen Bluttests auf Trisomien ist zu viel von „ungeborenem Leben“ und zu wenig von Behindertenfeindlichkeit die Rede.

Die Kämpfe der Behindertenbewegung für ein gutes Teilhabegesetz waren energisch und teilweise erfolgreich. Hier waren Feminist*innen und Linke leider zu wenig solidarisch.

Die heutige Demo setzt diesen Tendenzen das Motto: „Für ein selbstbestimmtes Leben in einer herrschaftsfreien Gesellschaft“ entgegen.

„Selbstbestimmung“ ist kein eindeutig emanzipatorischer, positiver Begriff, sondern ein ambivalenter Begriff. Er ist in Richtung Selbstoptimierung, Neoliberalismus und Individualismus offen. Was Menschen, was Frauen, was schwangere Personen wollen, muss nicht gut, emanzipatorisch und befreiend sein. Wenn wir eine radikale Veränderung gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Machtverhältnisse erreichen wollen, sollten wir diese Probleme miteinander diskutieren und zu einer reflektierten Antwort kommen, die gesellschaftliche Behindertenfeindlichkeit/Ableism angreift und die „Lebensschützer“!

Feministinnen mit und ohne Behinderung fordern ein Recht auf Entscheidungen über den eigenen Körper für jede Person ein. Niemand soll mit Strafgesetzen, Zwangsberatung, „Gehsteigberatung“ oder sonstigen Maßnahmen dazu gebracht werden, schwanger zu sein, wenn sie es nicht will. Es muss ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch geben. Aber es gibt kein Recht auf ein „gesundes“ Kind.

An pränataler Diagnostik kritisieren wir den zugrunde liegenden selektiven Blick, der als „das muss doch heute nicht mehr sein“ mit Behinderung lebende Kinder und Erwachsene trifft. Viele pränatale Untersuchungsangebote suchen nicht nach medizinisch behandelbaren Problemen, sondern nach Abweichungen von der Norm. Dies vermittelt ein problematisches Bild von Behinderung, als wäre eine Behinderung automatisch mit Leiden, Schmerzen und Belastungen verbunden.

Die Normalisierung dieser selektiven pränatalen Untersuchungen macht es schwierig, sich diesen „Angeboten“ zu entziehen. Schwangere fühlen sich verpflichtet, möglichst alle Untersuchungen machen zu lassen, um das vermeintlich Beste für ihr werdendes Kind zu tun. Ängste vor Behinderung werden durch diese „Angebote“ eher geschürt als abgebaut.

Manche Feminist*innen verstehen diese Untersuchungen als Ausweitung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Frauen*. Mit den Ergebnissen pränataler Untersuchungen könnten sie besser entscheiden, was gut für sie ist. Sie werfen feministischen Kritiker*nnen pränataler Untersuchungen vor, eine Brücke zu den „Lebensschützern“ zu bauen, von denen man sich doch maximal abgrenzen müsse.

In einer von vielfältigen Herrschaftsverhältnissen durchzogenen Welt ist aber der bloße Ruf nach Selbstbestimmung ein stumpfes Schwert. Maximal abgrenzen von rechten und reaktionären Tendenzen können wir uns nur, indem wir alle Herrschaftsverhältnisse angreifen, die Menschen aussondern, verächtlich machen und unterdrücken!

Redebeitrag Demo Annaberg-Buchholz

Rede gehalten am 06. Juni 2016 bei der Demonstration gegen den Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz/Erzgebirge

Martin Lohmann, der Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht hat eben auf der Abschlußkundgebung der selbsternannten Lebensschützer gesagt, dass wir, also die Gegendemonstrant_innen ein „komatisiertes Gewissen“ hätten und gar nicht wüßten, warum wir eigentlich hier sind. Das wissen wir aber nur zu gut, weil wir nämlich nicht zulassen wollen, dass Leute wie Herr Lohmann über die Körper von Frauen bestimmen!
Wir wissen allerdings auch, dass wir noch viel diskutieren müssen um unsere eigenen Positionen zu schärfen. Eine der Fragen, die wir uns dabei stellen müssen ist: Wie kann eine feministische Position aussehen, die das Recht auf Abtreibung verteidigt, sich aber gegen pränatale Diagnostik (PND) und selektive Abbrüche ausspricht?
Für die selbst ernannten Lebensschützer, gegen die wir heute protestieren, ist „jedes Leben wertvoll“, wertvoll für Gott, meinen sie damit. Schützenswertes menschliches Leben beginnt für sie bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Sie gehen daher von einer direkten Diskriminierung behinderter Föten durch PND und PID aus: Embryonen und Föten mit festgestellten Beeinträchtigungen würden durch die Nichteinpflanzung bzw. Abtreibung schlechter behandelt als solche ohne auffällige Diagnosen.
Feministinnen mit und ohne Behinderung fordern dagegen ein Recht auf Entscheidungen über den eigenen Körper für jede Person ein. Niemand soll mit Strafgesetzen, Zwangsberatung, „Gehsteigberatung“ oder sonstigen Maßnahmen dazu gebracht werden darf, schwanger zu sein, wenn sie es nicht will.

An pränataler Diagnostik kritisieren wir den zugrunde liegenden selektiven Blick, der als „das muss doch heute nicht mehr sein“ mit Behinderung lebende Kinder und Erwachsene trifft. Jedes Untersuchungsangebot, das pränatal nicht nach medizinisch behandelbaren Problemen, sondern nach Abweichungen von der Norm sucht, transportiert ein Bild von Behinderung, als mit Leiden, Schmerzen und Belastungen verbundenen Zustand.
Die Normalisierung dieser Untersuchungen macht es schwierig, sich diesen „Angeboten“ zu entziehen. Schwangere fühlen sich verpflichtet, möglichst viel abchecken zu lassen, um „das Beste“ für ihr werdendes Kind zu tun. Ängste vor Behinderung werden dadurch eher geschürt als abgebaut.
Manche Feminist*innen verstehen diese Untersuchungen dagegen als Ausweitung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Frauen. Mit den Ergebnissen pränataler Untersuchungen könnten sie besser entscheiden, was gut für sie ist. Sie werfen feministischen Kritiker*Innen pränataler Untersuchungen vor eine Flanke zu den Lebensschützern aufzumachen, von denen man sich doch maximal abgrenzen müsse.
„Selbstbestimmung“ ist jedoch kein eindeutig emanzipatorischer, positiver Begriff, sondern ein ambivalenter, der in Richtung optimierter Selbstverwertung und neoliberalem, konsumistischem Individualismus offen ist. Was Menschen, auch Frauen wollen, muss nicht gut, emanzipatorisch und befreiend sein. Wenn wir eine radikale Veränderung gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Machtverhältnisse erreichen wollen, sollten wir diese Probleme miteinander diskutieren und zu einer reflektierten Antwort kommen, die gesellschaftliche Behindertenfeindlichkeit/Ableism angreift und die „Lebensschützer“!

30.05.17 – Berlin

Lesung und Diskussion »Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung.«

Dienstag, 30. Mai 2017 | 19.00 Uhr | Auditorium, CCO, Virchowweg 6, 10117 Berlin

barrierefreier Veranstaltungsraum

Sollen Feministinnen jede Art von Abtreibung verteidigen? Können Entscheidungen überhaupt selbstbestimmt getroffen werden? Welche Art von Wissen entsteht durch pränatale Untersuchungen? Dienen sie der Vorsorge oder sind sie behindertenfeindlich?
Kirsten Achtelik lotet in ihrem Buch das Spannungsfeld zwischen den emanzipatorischen und systemerhaltenden Potenzialen des feministischen Konzepts „Selbstbestimmung“ in Bezug auf Abtreibung aus.

Veranstaltet von den „Medical Students for Choice Charité Berlin“

Auf der Veranstaltung wird es Buskarten für die Proteste gegen den „Marsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz am 12. Juni käuflich zu erwerben geben.

25.04.2017 – Chemnitz

Podiumsgespräch §218 StGB abschaffen, Abtreibung legalisieren!

19:00 – 22:00 TU Chemnitz, Reichenhainer Straße, Weinholdbau, Raum W012

Der Veranstaltungsraum ist barrierefrei zugänglich.

Nach einem 10-minütigem Input-Referat jeder Referentin zur eigenen Arbeit, zum eigenen Standpunkt, den Basisthesen und Forderungen wollen wir darüber sprechen wie sich die Situation darstellen würde, wenn Abtreibung ein Recht wäre. Was hätten wir dann erreicht, was würde sich ändern und worüber sollten wir weiterhin sprechen. Es geht darum ein Forum zu schaffen, um sich über den dann folgenden Zustand auszutauschen, Bedenken zu besprechen und Energie zu schöpfen, für den Kampf um die Abschaffung des §218 StGB.

*Kirsten Achtelik Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin
*Katja Krolzik-Matthei Sexualwissenschaftlerin M.A. & Mitarbeiterin des Instituts für Angewandte Sexualwissenschaften
*Romy Schmidt Sozialarbeiterin M.A. – Beraterin und Sexualpädagogin bei pro familia Chemnitz
*FEMermaid ein queerfeministisches Bildungskollektiv

Alle Referentinnen vertreten eine emanzipatorische Haltung gegenüber Abtreibung, befürworten eine Abschaffung des §218 StGB, sind aber auch für kritischen Austausch offen. Menschen jeglicher, auch ohne Positionierung sind zum respektvollen Austausch willkommen.

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Mobilisierung zur Demonstration zum Recht auf Abtreibung, am 12. Juni 2017 in Annaberg-Buchholz statt. Bustickets für eine gemeinsame Anreise sind hier zu erwerben oder per Mail bei FEMermaid (fem.critics@riseup.net). Außerdem bieten wir einen themenbezogenen Büchertisch, auf dem unter Anderem alle Veröffentlichungen der Referent_innen zu finden und zu erwerben sind.

Spermium trifft Eizelle

Eine Berliner Publikumsmesse für ungewollt Kinderlose rief starken Widerspruch hervor (neues deutschland 22.02.2017, Bewegung)

Ein Kinderwunsch erfüllt sich häufig nicht von selbst. Messebesucher, darunter Singels ebenso wie hetero- und homosexuelle Paare, konnten sich am Wochenende informieren, wie sie ihrem Traum vom eigenen Baby näher kommen können. An rund 40 Ständen fanden sie Nahrungsergänzungsstoffe, Fruchtbarkeitsyoga und Beratung zu künstlicher Befruchtung.

Das Konzept der Besuchermesse war umstritten: Der Verein Spenderkinder hatte bereits Anfang des Jahres seine ethischen und rechtlichen Bedenken gegen das Event geäußert. Er wandte sich gegen die dort von ausländischen Kliniken angebotenen anonymen Samen- und Eizellspenden. Diese Praxis widerspreche dem Recht von Kindern auf Kenntnis ihrer eigenen Abstammung. Der Berufsverband der Frauenärzte bezweifelte, dass es sich um eine Informations- und nicht vielmehr um eine Werbeveranstaltung handelte. Der Berliner Landesverband der Gynäkologen warnte gar vor unseriöser Geldmacherei. Schließlich prüfte die Berliner Gesundheitsverwaltung die Möglichkeit, das Event zu verbieten. Einige Verbände wie der Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ) hatten ihre Teilnahme abgesagt, damit sich das Event keinen seriösen Anstrich geben könne. Um genau diesen war die Veranstalterfirma F2F-Events aus Großbritannien gerade sehr bemüht.

Veranstaltungsleiter David MacAllister von F2F betonte im Gespräch unermüdlich, es gehe nicht ums Geschäft, sondern um die bestmögliche Information der »Patienten«, der Paare mit Kinderwunsch. Diese seien bislang auf die oft unzureichenden Auskünfte ihres lokalen Arztes oder die unsachgemäßen Hinweise im Internet angewiesen. Der unmittelbare Kontakt zu verschiedenen Anbietern sei für die Paare deswegen so wertvoll. Die auf der Messe präsentierten Informationen würden es den Paaren ermöglichen, die für ihre Situation beste Entscheidung zu treffen. Die deutsche Medienberichterstattung über sein Event empfindet MacAllister als voreingenommen. Denn man habe sich sehr bemüht, die deutschen Gesetze und Gepflogenheiten zu beachten. So müssten sich Aussteller an bestimmte Verhaltensregeln halten, dies würde auch kontrolliert.

Doch der Rundgang über die Ausstellung zeigt ein anderes Bild: Auf dem Tresen der ukrainischen Klinik liegt eine Preisliste, die auch Leistungen von in Deutschland verbotenen Behandlungsmethoden enthält. Außerdem gibt es Gutscheine für kostenlose Erstuntersuchungen und Beratungen. Einige Stände weiter verweist die Mitarbeiterin eines tschechischen Instituts direkt auf ihre Webseite, dort könne man alle Informationen finden, über die sie auf der Messe nicht sprechen dürfe. Sie erklärt den Besuchern und Besucherinnen, wie eine Eizellenübertragung ohne allzu großen Umstände für die Empfängerinnen vonstatten gehen könnte. Für die Beratung und zur Erstbehandlung könnten die Paare eine Berliner Partnerpraxis besuchen. Nur zur eigentlichen Eizellenübertragung müsse man dann nach Prag reisen. Allerdings bewegt sich ein solches Vorgehen im juristischen Graubereich.

Zu den Verhaltensregeln für die Kinderwunschtage gehört auch, dass die Anbieter keine unbegründeten Hoffnungen wecken und unrealistischen Erfolgszahlen präsentieren dürfen. Die Kooperationspartner der Messeveranstalter scheint das jedoch wenig zu beeindrucken: Der US-amerikanische Anbieter Oregon Reproductive Medicine verspricht »gesunde Kinder«, die Mitarbeiterin von IVF Spain behauptet eine »Baby-take-home-Rate« von 95 Prozent. Diese Rate beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Behandlung tatsächlich zu einem Kind führt. Der Verband für Familienplanung Pro Familie sieht die durchschnittliche Rate für Deutschland bei nur 17,5 Prozent.

Draußen vor der Tür protestieren Feministinnen gegen die Messe. Mit einem Hasenkostüm und bunten Eiern machen sie darauf aufmerksam, dass eine Eizellentnahme immer gesundheitliche Risiken birgt und die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Eizellabgebenden und Leihgebärenden hinter den Bedürfnissen der Paare mit Kinderwunsch verschwinden. »Woher kommen die Eier?«, fragen sie und »in welcher Gesellschaft wollen wir leben?«

David MacAllister will im nächsten Jahr wiederkommen – auch über ähnliche Events in anderen deutschen Städten werde nachgedacht. Der Deutsche Ethikrat lädt im März zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu »reproduktiven Reisen« und deren Konsequenzen in Deutschland. So wird die Debatte wohl fortgesetzt werden.