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6.9. – Berlin

Neue Strategien der „Lebensschutz“-Bewegung

Vorabvorstellung der Studie „Kulturkampf und Gewissen“
Die „Lebensschutz“-Bewegung appelliert verstärkt an medizinisches Personal, sich aus Gewissensgründen zu weigern an Abtreibungen mitzuwirken: Ärzt*innen und Hebammen werden zur Zielgruppe, sind aber auch selber Akteur*innen in der Strategie der
Abtreibungsgegner*innen, die den Diskurs über den „Beginn des Lebens“, die Legitimität von Schwangerschaftsabbrüchen, selektiven pränatalen Untersuchungen oder Sterbehilfe mitbestimmen. Die Folgen dieses „Kulturkampfes“ um das ärztliche Gewissen waren und sind teilweise schon ein Mangel an durchführenden Ärzt*innen, d.h. die konkrete Einschränkung
des Angebotes, einen sicheren Schwangerschaftsabbruch in Wohnortnähe ohne Schikanen und hohe Kosten wahrzunehmen. Eine feministische Kritik an den Paragrafen 218 und 219 ist daher in der heutigen Form unerlässlich. Die „Lebensschutz“-Bewegung muss als antifeministischer Akteur in den Fokus genommen, die eigene Analyse und Positionierung geschärft und der Widerstand gegen die reaktionären und teils menschenverachtenden Argumentationen und Aktionen ausgebaut werden.

Die Referent*innen Eike Sanders, Ulli Jentsch (beide apabiz e.V.) und Kirsten Achtelik (freie Journalistin und Autorin) stellen in der Veranstaltung die Ergebnisse der neuen, im Herbst erscheinenden Studie „Kulturkampf und Gewissen. Neue medizinethische Strategien der ‚Lebensschutz‘-Bewegung“ vor.
Im Rahmen der Mobilisierung gegen den „Marsch für das Leben“ am 16.9.
19:00 in der K9, Kinzigstr. 9, Friedrichshain, Treppen, nicht berollbar

Redebeitrag Pride Parade 2017

Redebeitrag für das Gen-ethische Netzwerk auf der „behindert und verrückt feiern“ Pride Parade

Liebe Leute,

die Diskussionen um Behinderung und Pränataldiagnostik haben im vergangenen Jahr zugenommen. Schon letztes Jahr hätte der „Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen“ hier vor dem Südblock beinahe die Glitzer-Krücke gewonnen, weil er das Verfahren eingeleitet hat zu überprüfen, ob der „Praenatest“ von den Krankenkassen finanziert werden soll. Mit dem Test kann anhand des Bluts der schwangeren Frau bereits ab der neunten Schwangerschaftswoche getestet werden, ob bei dem werdenden Kind eine Trisomie wie beispielsweise das Down Syndrom vorliegt.

Wenn das beschlossen werden sollte, wird es noch normaler, vor der Geburt nach „Abweichungen“ und Behinderungen des Fötus zu suchen. Auch ist nicht absehbar auf welche vermeintlichen Behinderungen der Test noch ausgeweitet wird: Sehr wahrscheinlich ist es, dass genetische Inter/*geschlechtlichkeit (also wenn die Gene nicht eindeutig männlich oder weiblich sind), auch bald schon in die Regelversorgung aufgenommen würde – die Tests darauf gibt es bereits! Aber noch ist nichts entschieden und wir können politisch Druck machen, damit das nicht passiert!

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26.07.17 – Berlin

Premiere „Decyzja – unsere Entscheidung für den Protest“ – Dokumentarfilm über den Schwarzen Protest im City Kino Wedding

Der „Schwarze Protest” („Czarny Protest“) ist eine Protestbewegung, die im Frühjahr 2016 als Reaktion auf die Debatte um ein neues Abtreibungsgesetz in Polen entstand. Ihren Höhepunkt fand sie am 3. Oktober, dem „Schwarzen Montag“, an dem mehrere Zehntausend Frauen im ganzen Land demonstrieren gingen.

Der 30-minütige Dokumentarfilm wird im Anschluss mit unseren Gästen Ewa Maria Slaska, Anna Krenz, Kirsten Achtelik und Gabriele Freitag diskutiert.

18:00 Uhr Einlass
18:30 Uhr Filmpremiere „Decyzja“
19:00 Uhr Podiumsdiskussion
im Anschluss: Getränke und polnische Snacks

Gäste:
Ewa Maria Slaska – Vorsitzende der Städtepartner Stettin e.V.
Anna Krenz – Mitgründerin von Dziewuchy Dziewuchom Berlin
Kirsten Achtelik – Diplom-Soziologin und Journalistin
Gabriele Freitag – Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.

Um Anmeldung wird gebeten: polandinmotion@gmail.com. Der Eintritt beträgt 4€. Das Kino ist rolligerecht.

Frauen wollen selbst entscheiden

in der Lotta, Juni 2017

Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Und doch versuchen in vielen Ländern selbsternannte Lebensschützer und konservative Regierungen die Rechte der Frauen einzuschränken oder sie ihnen ganz zu nehmen.

Deutschland

„In Deutschland ist in Vergessenheit geraten, dass Abtreibungen rechtswidrig sind!“ So beginnt eine von der Zeitschrift ideaSpektrum, Publikation des evangelikalen Dachverbandes Deutsche Evangelische Allianz, lancierte Petition an den Bundestag. Mitte Mai dieses Jahres hatten bereits mehr als 10.000 Menschen die Petition unterzeichnet. Die „Lebensschützer“ kritisieren, dass das Wissen um die Rechtslage über Schwangerschaftsabbrüche zu wenig verbreitet sei. Das finden auch Feministinnen problematisch, kommen allerdings zu entgegengesetzten Forderungen. Während radikale Abtreibungsgegner und Gegnerinnen ein „Recht auf Leben“ für Föten etablieren und die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch einschränken wollen, skandalisieren Feministinnen, dass Abtreibung ein im Strafgesetzbuch aufgeführtes Tötungsdelikt ist und fordern ein Recht auf dieses medizinisch unproblematische Verfahren. In Deutschland ist Abtreibung nämlich keineswegs ein Recht, sondern eigentlich verboten und nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt – unter anderen wird der Rechtsbruch nicht strafverfolgt, wenn sich die Schwangere einer Beratung ausgesetzt und danach drei Tage gewartet hat. Diese Petition stellt nur einen Versuch der „Lebensschützer“ dar, den realen Zugang zu Abbrüchen zu erschweren. Ein anderer war der Vorstoß des bekennenden Christen Thomas Börner, Gynäkologie-Chefarzt der Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik im niedersächsischen Dannenberg, seiner ganzen Abteilung zu untersagen, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Dies löste große öffentliche Aufregung aus und bewegte die Klinikleitung zu der Klarstellung, dass auch ein Chefarzt eine solche Befugnis nicht hat. Es handelt sich um eine Gewissensentscheidung, die jede Ärztin und jeder einzelne Arzt für sich treffen kann und muss, dies kann nicht verordnet werden. Börner hat daraufhin seine Stelle aufgegeben.

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„Die Idee der absoluten Kontrolle ist total antiemanzipatorisch“

Interview in an.schläge 2017, IV / 2017, Thema

KIRSTEN ACHTELIK übt scharfe Kritik an der Pränataldiagnostik und fordert (Queer-)Feminist_innen dazu auf, die Frage nach Selbstbestimmung neu zu stellen. Interview: KATHARINA PAYK

an.schläge: In Ihrer Auseinandersetzung mit den Rechten von Menschen mit Behinderung positionieren Sie sich immer klar als Feministin. Zugleich üben Sie scharfe Kritik an feministischen Gruppen, die sich für das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch stark gemacht haben, indem sie für die eugenische Indikation plädierten. Die Gruppe „Brot und Rosen“ argumentierte 1974 etwa, dass es für die Bevölkerung ein Vorteil wäre, „dass solchen Schäden (damit ist eine angeborene Behinderung gemeint, Anm.) durch Forschung und Behandlung vorgebeugt wird“. (1)

Kirsten Achtelik: Ich glaube, dass „Brot und Rosen“ damals ausgesprochen haben, was viele gedacht haben. Der Diskurs rund um die Wiedereinführung der sogenannten eugenischen Indikation zeigt, dass es sehr wenig Auseinandersetzung damit gab. Natürlich ist das auch darauf zurückzuführen, dass der Großteil der Frauenbewegung sowieso keine Indikationsregelung haben wollte, sondern den Abtreibungsparagrafen abschaffen wollte – deshalb war für sie die Indikation nur zweitrangig. Aber andererseits fällt auf, dass es zur sozialen Indikation beispielsweise sehr wohl Auseinandersetzung gab. Es gab eine innerfeministische kritische Auseinandersetzung mit dieser sehr wichtigen Gruppe, aber nicht mit den behindertenfeindlichen Aussagen, die weibliche Selbstbestimmung und Leben mit behinderten Kindern gegeneinander stellten. Man kann daraus schließen, dass das eigentlich ein Konsens war in der Szene.
In der Gruppe „Brot und Rosen“ waren auch Aktivistinnen aus der Kinderladenbewegung, die sich dafür einsetzten, mit Kindern studieren, arbeiten und Politik machen zu können. Das heißt, es war ein Diskurs über das Leben mit Kindern – unter bestimmten, „erschwerten“, Umständen – da. Warum also war das Thema Leben mit Kindern mit Behinderung kein Thema? Sowohl Behindertenrechtsbewegung als auch feministische Bewegung sind beide emanzipatorische Bewegungen, die eigentlich die gleichen Ziele haben sollten.

Gibt es heute mehr Überschneidungen zwischen feministischer Bewegung und Behindertenrechtsbewegung, auch in Bezug auf Abtreibung?

In den letzten Jahren nimmt die Diskussion um Behindertenfeindlichkeit und Ableism in der (queer-)feministischen Szene schon zu.

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Wenn Wissen weh tut

Interview im Stadtgeflüster Münster Ausgabe 04 April 2017 (noch nicht digital)

Überglücklich schwanger in der neunten Woche und dann das Untersuchungsergebnis:
Das werdende Kind hat einen Herzfehler, wird niemals ohne Hilfe rund um die Uhr leben
können. Abtreiben, oder nicht? Kirsten Achtelik hat eine klare Meinung: gar nicht erst
alle Untersuchungen durchführen lassen, die die pränatale Diagnostik ermöglicht.
Am Telefon erklärt mir die Buchautorin, warum diese Vorsorge uns zu einer
behindertenfeindlichen Gesellschaft macht.

Pränatale Diagnostik – Die Suche nach der Abweichung

in der Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, April 2017, Nummer 4, Schwerpunkt: Ethik in der Heil- und Sonderpädagogik

„PraenaTest® schafft Wissen. Zuverlässig. Schnell. Sicher.“ So wirbt die in Deutschland ansässige Herstellerfirma LifeCodexx bei Schwangeren* für die neuen Methoden der pränatalen Untersuchung auf Trisomien und Geschlechterchromosomenabweichung (LifeCodexx, 2017). Dabei wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass „Wissen“ gut und sinnvoll ist und Schwangeren* bei ihren „reproduktiven Entscheidungen“ hilft. Doch von welchen Entscheidungen ist die Rede? Die pränatale Suche nach Behinderungen des Fötus beginnt erst, nachdem die Entscheidung, ob die Schwangerschaft ausgetragen wird, eigentlich schon getroffen wurde. Die reproduktive Entscheidungsfrage lautet also nicht: „Will ich überhaupt ein Kind?“ oder „Kann ich mir jetzt vorstellen, ein Kind zu bekommen?“ Zur Beantwortung dieser Fragen wären pränatale Tests auch denkbar ungeeignet. Die Entscheidungsfrage, auf die die schwangere Person oftmals mehr zuschlittert als bewusst zugeht, ist am Ende der pränatalen Diagnosespirale vielmehr: „Will ich dieses Kind bekommen oder nicht?“ Die Frage, ob man sich das Leben mit einem Kind mit Behinderung vorstellen kann, gilt gesellschaftlich als legitim – die Gesundheitssysteme und Krankenversicherungen betreiben einigen Aufwand, schwangeren Frauen* diese Frage zu ermöglichen bzw. sie dieser Frage überhaupt zuzuführen. Den meisten Schwangeren* wird oft erst im Laufe des Verfahrens klar, dass hier nicht ihre eigentliche Frage, ob alles in Ordnung ist, beantwortet wird, sondern vielmehr systematisch nach dem Fehler am Fötus gesucht wird.

* Der Stern stellt den Versuch dar, Identitäten jenseits der zugeschriebenen Zweigeschlechtlichkeit sichtbar zu machen und zu markieren, dass die Kategorie „Frau“ keine biologische, sondern eine sozial hergestellte ist, hinter der sich unterschiedliche Lebensrealitäten und Erfahrungen verbergen. Menschen mit Uterus sind nicht alle Frauen, nicht alle Frauen* können Kinder bekommen und auch nicht alle Schwangeren* nehmen sich selbst als Frauen wahr.

Selbstbestimmung Abtreibung Behinderung

in der AS.ISM4 – Streitschrift gegen sexistische Zustände

Niemandem gefällt es, wenn immer andere bestimmen, was man tun und lassen soll. Darum wehren sich Menschen gegen Unterdrückung und Diskriminierung. Sie schließen sich zu Bewegungen zusammen, um für ihre Selbstbestimmung zu kämpfen. Um eine Person zu sein, die selbst entscheiden kann, muss man als autonome, zu freien Entscheidungen über die eigene Lebensführung fähige und berechtigte Person gesellschaftlich anerkannt werden. Dies wurde früher nur weißen, heterosexuellen, bürgerlichen Männern* zugestanden – Frauen* und Behinderte mussten sich das erst erkämpfen.

Für die westliche feministische Bewegung ist Selbstbestimmung gleichzeitig Weg und Ziel der Selbstbefreiung. In der BRD bildete sich diese Idee im Kampf gegen das Abtreibungsverbot seit Anfang der 1970er Jahre heraus. Das Konzept Selbstbestimmung wird als Abwehr äußerer Einflüsse auf die Entscheidungen von schwangeren Menschen verstanden. Soziale Bewegungen gebrauchen den Begriff aber gewöhnlich in einem weiteren Sinne, der die Hoffnung beinhaltet, dass mit der Erweiterung der persönlichen Autonomie der Einzelnen auch die ganze Gesellschaft freier wird.

An der Abtreibungsregelung wurde und wird kritisiert, dass Schwangere nicht selbst über ihren Körper und ihre Fruchtbarkeit, also ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht,entscheiden dürfen. Rechtlich wird das in Deutschland durch den Paragraphen 218 ff. im Strafgesetzbuch geregelt, der unter anderem Schwangere dazu verpflichtet, vor einer Abtreibung zu einer Zwangsberatung zu gehen. Außerdem gibt es eine moralische Verurteilung von Frauen*, die kein Kind haben wollen und deswegen abtreiben wollen oder abgetrieben haben. Die feministische Bewegung arbeitet neuerdings wieder verstärkt daran,diese Verbote abzuschaffen und dafür, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch akzeptiert und nicht kritisiert wird.

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